Empathisch sein – und dennoch konsequent: Für Führungskräfte, die analytisch denken und bei schwierigen Entscheidungen gern mit Fakten argumentieren, ist dies ein kaum zu bewältigender Spagat. Mit der richtigen Gestik und Mimik kann er gelingen. Chefs und Chefinnen, die über ihre Körpersprache Verständnis und Mitgefühl signalisieren, mildern die Wucht der negativen Emotionen bei ihren Mitarbeitern ab und erarbeiten sich gleichsam Respekt.
In gemeinsamer Arbeit haben wir – der Schiedsrichter Deniz Aytekin und der BWL-Professor Andreas Engelen – empathische Gestik und Mimik aus dem Profifußball analysiert, an der sich Führungskräfte in Unternehmen ein Beispiel nehmen können.
1. Mit Gesten erklären
Wenn andere eine Entscheidung fällen, von der wir negativ betroffen sind, suchen wir nach nonverbalen Hinweisen, um die Entscheidung besser einschätzen zu können. Instinktiv gehen wir von einer Aggression aus, gegen die wir uns verteidigen müssen. Auf dem Fußballplatz zeigt sich das so: Erfolgt vom Schiedsrichter nur ein Pfiff ohne begleitende Gestik, fühlen sich betroffene Spieler angegriffen, reagieren mit Unverständnis und sehen eine Entscheidung als unbegründet an – rein aus Reflex. Mit einer erklärenden Gestik lässt sich dieser Impuls abmildern.
Ein Handspiel ist beispielsweise ein kompliziertes und viel diskutiertes Thema. Wenn ein Spieler den Ball an den angelegten – und nicht ausgestreckten – Arm bekommt, dann ist das nicht strafbar und somit vom Schiedsrichter nicht zu ahnden. Dennoch kommt es regelmäßig vor, dass jede Berührung mit dem Arm zu Protesten der Spieler führt, die einen Elfmeterpfiff erwarten. Für den Schiedsrichter ist es in dieser Situation wichtig, mit seiner Gestik zu verdeutlichen, dass der Arm angelegt war – das beendet die Proteste meist relativ schnell. Ein weiteres Beispiel: Wenn der Schiedsrichter einen Spieler aufgrund wiederholten Foulspiels verwarnt, sollte er aktiv und deutlich auf die Orte zeigen, an denen die vorherigen Foulspiele stattgefunden haben.
Studien aus dem Management unterstreichen die positive Wirkung aktiver und erklärender Gesten. Vorgesetzte, die sie einsetzen, werden nicht nur als energischer und kompetenter wahrgenommen, sondern auch als überlegter in ihren Entscheidungen. Zeigen sie hingegen keinerlei erklärende Gestik, wirken sie emotional kalt und weniger kompetent.
Wie lässt sich diese Erkenntnis konkret nutzen? Beispielsweise könnten Führungskräfte mit dem Finger auf Schaubilder in Präsentationen zeigen. Sie könnten sich auch klar Personen zuwenden, die sie in einer Runde ansprechen, und mit ihrer Gestik verdeutlichen, dass sie sich auf sie beziehen. Bewährt hat sich überdies, eine Argumentation, die in mehrere Teile -gegliedert ist, gleichsam mit den Händen zu unterstützen – und etwa -„erstens“, „zweitens“ und „drittens“ mit den Fingern zu zählen.
„Im Fußball steht die Rote Karte für die Höchststrafe: Ein Spieler muss so massiv gegen die Regeln verstoßen haben, dass der Schiedsrichter keine andere Wahl hat, als ihn des Feldes zu verweisen. Im Dezember 2016 leitete ich ein Spiel, in dem ich die Rote Karte schon nach vier Minuten ziehen musste. Der Schalker Naldo hatte durch ein Foulspiel eine klare Torchance vereitelt.
Dafür sahen die Spielregeln die Höchststrafe vor. Wenn eine Mannschaft schon nach vier Minuten in Unterzahl gerät, wird es schwierig. Die Spieler müssen den Rest des Spiels mehr laufen und arbeiten – und verlieren am Ende wahrscheinlich doch. So auch in dieser Partie: Die Schalker kämpften gegen die Gegner aus Leverkusen aufopferungsvoll, gingen letztlich aber mit 0:1 als Verlierer vom Platz.
In meiner Schiedsrichterkarriere habe ich gelernt, dass Gestik und Mimik enorm wichtig sind, damit ein Spiel nicht aus dem Ruder läuft. Bei Entscheidungen von großer Tragweite – egal ob sie richtig oder falsch sind – ziehe ich mir immer Unmut zu, das lässt sich nicht vermeiden. Aber wenn ich Gestik und Mimik richtig einsetze, vermittle ich dem Betroffenen, dass mir die Bedeutung meiner Entscheidung für ihn und seine Mannschaft bewusst ist. Ich zeige Empathie. Die Spieler akzeptieren meine Entscheidungen dadurch viel besser, und zwar nicht nur die für eine Rote Karte nach vier Minuten, sondern auch für alle weiteren Entscheidungen, die ich in den verbleibenden 86 Minuten Spielzeit treffe.“
2. Offenheit demonstrieren
Kurze, schroff wirkende Gesten, wie ein Abwinken in Richtung des betroffenen Spielers oder ein aggressives Deuten mit dem Zeigefinger, verursachen praktisch ausnahmslos Unverständnis. Der Spieler wähnt den Schiedsrichter in einer unsicheren Abwehrhaltung und nimmt ihn gleichzeitig als arrogant und unnahbar wahr. Besser wirken offene Gesten. Zur Seite ausgestreckte Arme auf Bauch- oder Taillenhöhe und ein leicht zur Seite geneigter Kopf signalisieren Dialogbereitschaft und Zuwendung – eine wichtige Voraussetzung für den Schiedsrichter, um Nähe und Akzeptanz aufzubauen.
Eine Forschungsarbeit der Kellogg School of Management der Northwestern University zeigt, dass ein Öffnen beider Arme zur Seite auch in bestimmten Situationen in Unternehmen vorteilhaft sein kann. Wenn Führungskräfte diese Art der großen, Raum einnehmenden Gestik wählen, werden sie als mächtig und souverän, aber auch als ehrlich und glaubwürdig wahrgenommen.
Andere Untersuchungen, beispielsweise von Neurowissenschaftlern der Colgate University im US-Bundesstaat New York, untermauern dies. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bewerten Führungskräfte, die offene, aktive Gesten nutzen, als menschlich warm und zur Kommunikation einladend – selbst wenn die Entscheidung für sie negativ ist.
3. Mit den Armen entschuldigen
Jeder kann sich einmal irren. Wenn sich ein Fehler nicht leugnen lässt, sollten wir dazu stehen – und das auch zeigen. Eine entschuldigende Gestik, insbesondere mit erhobenen Händen, kann in solchen Fällen helfen, die Botschaft zu transportieren. Manchmal steht ein Schiedsrichter beispielsweise beim Spielaufbau einer Mannschaft im Weg und verhindert dadurch einen schnellen Angriff. Entweder er kreuzt die Laufwege der Spieler oder – noch schlimmer – wird vom Ball getroffen. Hier hat man schnell den Unmut der Spieler und der Zuschauer gegen sich. Hebt der Schiedsrichter jedoch kurz entschuldigend die Hände, entspannt sich die Situation meist sehr schnell.
Forscher der University of California, Berkeley, haben bei Unternehmensskandalen untersucht, inwiefern neben der verbalen Entschuldigung auch die Gestik einer Person eine Rolle spielt. Sie fanden heraus, dass sogar Aktienmärkte auf -Nuancen in der Gestik reagieren und dass verbale Entschuldigungen ohne begleitende entschuldigende Gestik – wie durch Hände heben – einen deutlich geringeren Effekt haben. Ähnliches haben Marketingforscher der University of Missouri-Columbia festgestellt, die untersucht haben, wie sich unzufriedene Kunden in einem Gespräch zurückgewinnen lassen. Entschuldigende Gesten erhöhen demnach wesentlich die Wirkung einer ausgesprochenen Entschuldigung.
4. Klaren Augenkontakt halten
Im Fußball ermahnen Schiedsrichter Spieler häufig, bevor sie eine echte Verwarnung aussprechen. Sie geben ihnen zu verstehen, dass sie ihnen beim nächsten Foulspiel die Gelbe Karte zeigen werden – und zwei solcher Karten führen zum Feldverweis. Solche Ermahnungen erfüllen nur dann ihren Zweck, wenn sie mit Augenkontakt verbunden sind. Ist nicht klar, welcher Spieler gemeint ist, weil er sich in einer Gruppe befindet, muss der Schiedsrichter ihn aus der Gruppe hinauszitieren. Diese Situation tritt oft vor Eckbällen auf, bei denen sich viele Spieler vor dem Tor ballen und zum Teil auf unfaire Weise um die besten Plätze rangeln. Augenkontakt zu einzelnen Personen ist dann schwierig herzustellen. Doch die Erfahrung zeigt: Fühlen sich Spieler nicht angesprochen, ändern sie auch nicht ihr Verhalten. Der Augenkontakt sollte mit einem leichten Lächeln einhergehen – idealerweise mit geschlossenem Mund und entspannten Mundwinkeln. Dies ist gerade bei strittigen Entscheidungen wichtig, um aggressiven Reaktionen einen Riegel vorzuschieben.
Wissenschaftliche Studien unterstützen diese Zusammenhänge auch für Gespräche in Unternehmen. Fehlender Blickkontakt von Vorgesetzten – beispielsweise wenn sie negatives Feedback geben – führt dazu, dass Mitarbeiter sie als kalt und desinteressiert wahrnehmen. Die Angesprochenen glauben auch, dass die Führungskraft sich ihrer Bewertung nicht sicher ist. Statt die Entscheidung zu akzeptieren, beginnen sie daher oft eine Diskussion, um sich zu verteidigen. Wenn eine negative Information – wie eine schlechte Leistungsbewertung – hingegen mit Augenkontakt übermittelt wird, verschlechtert sich die Motivation und Grundstimmung der Betroffenen deutlich weniger.
Emotionen managen
Gestik und Mimik sind in der Führungsarbeit wichtige Kommunikationswerkzeuge. Sie können emotional aufgeladene Situationen deutlich entschärfen. Oft machen sie den Unterschied zwischen einer intakten oder einer dauerhaft geschädigten Beziehung zwischen Chef oder Chefin und Mitarbeiter oder Mitarbeiterin. Eine positive Körpersprache lässt sich antrainieren, das kann mühsam sein. Doch Führungskräfte können auch eine Abkürzung nehmen. Aus der Psychologie wissen wir: Mimik und Gestik sind oft untrennbar mit unserer Gefühlswelt verbunden. Wer sich emotional gut auf schwierige Situationen einzustellen versteht, lenkt indirekt auch seine Körpersprache in die richtigen Bahnen. Anders ausgedrückt: Positive Gefühle führen zu positiven Gesten.
Auch wenn es vielen Führungskräften nicht bewusst ist – ihre Stimmungen übertragen sich über ihre Körpersprache auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Mitarbeiter unter Druck stehen, sich unsicher fühlen und eine für sie negative Entscheidung erwarten. Verantwortlich dafür sind die sogenannten Spiegel-Neuronen im Gehirn. Sie führen zu einer geteilten Erfahrung in der Interaktion – der angesprochene Mitarbeiter kann gar nicht anders, als auf die Gestik und Mimik der Führungsperson zu reagieren.
Dieser Zusammenhang funktioniert im Guten wie im Schlechten. Wenn eine Chefin die eigenen Emotionen nicht im Griff hat, kann sie über Gestik und Mimik zusätzlich Unsicherheit oder gar Aggressivität verbreiten. Auf dem Fußballplatz lässt sich das oft beobachten, wenn unerfahrene Schiedsrichter mit einer Situation überfordert sind. Diese Erfahrung machte auch Deniz Aytekin früh in seiner Karriere:
„In den ersten Jahren als Bundesligaschiedsrichter habe ich – vielleicht aus einer inneren Unsicherheit heraus – in vielen Situationen völlig überreagiert. Jede Rückfrage oder jede kleine, unbedeutende Reaktion eines Spielers empfand ich als Angriff auf meine Person. Wenn ein Spieler beispielsweise nach einer normalen Entscheidung „Schiri, das war doch Ball gespielt“ gesagt hat, habe ich oft mit einer sehr aggressiven Gestik und Mimik reagiert. Die Folge war, dass weder das Umfeld noch der betroffene Spieler meine Entscheidungen akzeptierten, sondern mit Aggressivität ihrerseits reagierten. Oft hat sich die Stimmung auf dem Platz im Spielverlauf dann immer weiter hochgeschaukelt.
Irgendwann habe ich erkannt, dass meine überzogene Reaktion der Grund für die Eskalationen war. Also habe ich aufgehört, die Reaktionen der anderen persönlich zu nehmen. Und ich habe mir angewöhnt, meine Entscheidungen ruhig und sachlich zu erklären. Damit habe ich mir nicht nur bei den Spielern eine höhere Glaubwürdigkeit erarbeitet, sondern auch bei den Zuschauern, Medien und Verantwortlichen – und mir letztlich den Job erheblich leichter gemacht.“
[Quelle: manager-magazin vom 23.06.2021]