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90 Minuten Adrenalin

Meine Beweggründe waren eigentlich von unterschiedlicher Natur. Es war wohl eine Mischung aus Neugier und sportlichem Interesse. Ich wollte wissen wie hoch die körperliche Belastung bei einem Schiedsrichter während eines 90 Minuten-Spiels ist und vor allem wie weit die Laufwege der Spieler sind in Meter und wie schnell ein Spieler einen gerade angesetzten Sprint verkraftet .Aerob und Anaerob ,das waren Begriffe die mich brennend interessierten. Als aktiver Marathonläufer mit einer Bestzeit von zwei Stunden neunundvierzig Minuten, konnte ich doch jeden Leistungstest gelassen entgegensehen.

Meine Gedanken waren ausschließlich Körper bezogener Natur. Eine gewisse Unterschätzung, dessen was da auf mich zukommt ,möchte ich nicht ausschließen. Also meldete ich mich zur nächsten Schiedsrichter-Anwärterprüfung an. Ein paar Wochen Theorie und es war soweit ,alles gelernt ,alles im Kopf, alles klar. Bei den Fragen dachte ich manchmal, was ist denn das für ein Spiel.

Läuft ein Zuschauer aufs Spielfeld, nimmt den Ball in die Hand und verschwindet damit aus dem Stadion, wie ist zu entscheiden? Ich machte mir so meine Gedanken, ob so etwas oft vorkommt, sicherlich nicht. Ich habe doch schon sehr viele Begeg- nungen angeschaut, aber noch nie ist ein Zuschauer aufs Spielfeld gelaufen.

Und dann dachte ich, wenn doch einmal, was dann? Ich kam zu der Einsicht, das wenn die Wahrscheinlichkeit auch sehr gering ist, ich auf solch eine Situation gefasst sein sollte, um dann souverän und sicher entscheiden zu können. Die Prüfung bestanden, einen Verein hatte ich schon als Leichtathlet und die erste, meine erste Ansetzung flatterte ins Haus.

Sonntag zehn Uhr vierte Kreisklasse. Da lagen sie fein geordnet auf meinem Bett. Noch nie hatte ich zuvor eine schwarze, kurze Hose angezogen und dazu ein schwarzes Hemd, ich zog es probeweise über. Im Spiegel geschaut, dachte ich, sehr amtlich siehst du aus – sehr amtlich.

Irgendwie hatte diese Amtstracht etwas von einer Polizei-Uniform, nicht diesen Freischein zum Knöllchenverteilen ,sondern eher diese Ehrfurcht vor dem Träger, dass das was dieser Mensch sagt, Hand und Fuß hat und zu befolgen ist – geil. Meine Kluft roch noch so neu. Diese Pfeife in meiner Hand hat noch nie einen Pfiff auf einem Spielfeld abgegeben. heute dachte ich, wird sie ihren Einstand feiern. Ich zog die Sachen wieder aus und verstaute sie fein säuberlich in meine Sporttasche. Hoffentlich machen mir die nagelneuen Schuhe keinen Ärger, als Läufer weiß ich nur zu gut wie es werden kann, wenn man mit neuen Sportschuhen gleich in die (Vollen) geht, das kann ganz schön schmerzhaft werden. Wird schon irgendwie gehen.

All meine Gedanken zum Thema Schiedsrichter waren von sportlicher Natur, all meine Eindrücke waren bis hierher Theorie und mehr konnte es auch gar nicht sein. Ich wusste eigentlich nichts und gerade das machte mich neugierig. Mein erstes Spiel, schon bekam ich etwas Neues zu Spüren ,Nervosität. Ich der abgezockte Läufer, der beim zehn Kilometer Lauf am Start auch schon mal den Ellenbogen zur Hilfe nimmt, um sich eine bessere Position zu verschaffen. Ich war jetzt Nervös. „Eine kleine Unsicherheit“,spielte ich mein Gefühl runter, nur nichts anmerken lassen. Ich war jetzt soweit zur Abfahrt zu meinem ersten Fußballspiel, das ich leiten ssolle. Meine Familie wollte auch mit und zuschauen, mir war es recht. Ein bisschen Unterstützung von der Seite kann ja nicht schaden, dachte ich. Aber draußen standen an der Straße meine Freunde, alle wollten mein erstes Spiel miterleben. Ich dachte, na toll, so hatte ich mir mein erstes Spiel nun auch nicht vorgestellt.

Alle die mich kennen waren zugegen und wollten meinen ersten Einsatz mitverfolgen. Na, die sollen nur kein Volksfest daraus machen. Ich konnte nichts tun und dachte „dann habe ich eben ein paar Zuschauer mehr und werde bestimmt alles richtig machen. Zwanzig Kilometer gefahren und wir waren vor Ort. Ein gepflegter Platz mit zwei Toren, abgekreidet alles sah sehr gut aus .

Ein paar Spieler machten sich warm, während mein (Fanclub) sich an der Seitenlinie postierte und wartete auf den Anpfiff, meinen allerersten
Anpfiff. In der Kabine zog ich mich um. Ich schaute in den Spiegel an der Wand
und stellte mit einem guten Gefühl fest, dass alles perfekt passte. Als es an der Tür klopfte und ein Betreuer mir die Pässe gab. Ich tat auf wichtig und überprüfte sie gewissenhaft. Alles in Ordnung, es konnte losgehen. Ich schaute noch einmal in den Spiegel und jetzt war meine Nervosität einfach nicht mehr vorhanden, alles klar.

Draußen auf dem Platz hatten Trainer und Betreuer schon Platz genommen, die Spieler formierten sich zur Mittellinie, auf deren Mittelpunkt auch schon das Spielgerät, der Ball ruhte. Nach der Begrüßung und der Seitenwahl konnte es losgehen. Alles wartet, diesen Moment werde ich wohl nie vergessen. Diese fast schon angenehme Ruhe, Sekunden vor dem Spiel.

Was geht jetzt in jedem vor? Ich glaube, in diesen Sekunden kurz vor dem Anpfiff, sind alle Anwesenden sehr gefasst und strahlen eine angenehme Ruhe aus. Allein für diesen Moment lohnt es sich zu Pfeifen. Ich kann sagen, das ich auch nach neunzehn Jahren Schiedsrichter, diesen Moment immer noch genau so spüre, wie jetzt hier bei meinem ersten Spiel. Zurück – der Anpfiff. Ein gellender Pfiff und es ist Schluss mit der Ruhe, das Leder wird getreten, es geht hin und her. Ich bin irgendwie hochkonzentriert und verfolge alle Bewegungen, die sich auf dem Platz abspielen. Es sind gerade zwei Minuten, die mir allerdings länger vorkamen vergangen. Ein leichter Wind der vorher nicht so sehr wahrgenommen wurde, verstärkte sich zunehmend, schwoll an zu einem Orkan.

Die Spieler schauten mich fragend an und warteten wohl auf eine Entscheidung. Eine Entscheidung musste her, ich zögerte „was soll ich entscheiden“, dachte ich, als plötzlich ein dicker Ast auf das Spielfeld flog und ein Teil eines Schuppens umkippte. Ein Pfiff von mir beendete den Spuk und alle flüchteten in die Kabinen. Ich hatte entschieden auf Spielabbruch, meine erste wichtige Entscheidung war ein Spielabbruch nach genau dreieinhalb Minuten, Spielstand 0 zu 0.

Ja, so war das wirklich bei meinem ersten Spiel. Was habe ich daraus gelernt? Nein, ich habe es nicht als schlechtes Omen für mich genommen, sondern als souveräne Entscheidung, die ich getroffen habe, ganz
auf mich gestellt und doch stellvertretend für alle Anwesenden. Allerdings weniger für meinen (Fanclub), aber die sollten noch sehr oft Gelegenheit bekommen mich auf sämtliche Plätze der Region zu sehen.

Der Blindmann

Sonntag Mittag, ich packe meine schwarze Kluft in den Rucksack, gelbe und rote Karten und nicht zuletzt meine Schiripfeife, deren Pfiff auch heute wieder über Foul oder nicht Foul, Abseits oder Tor entscheiden wird. Ein Küsschen
noch „Ich denke, ich bin zum Kaffee wieder zuhause, wenn wir pünktlich anfangen können“ sage ich noch und los geht’s. Am Sportplatz angekommen, höre ich vom Parkplatz aus jemand rufen „Der Schiri ist da ,macht euch warm“. Auf dem Weg zur Schirikabine höre ich einen Spieler sagen „Ach der schon wieder“. Ich höre weg und gehe weiter Richtung Umkleide. In der Kabine ist es für diese Jahreszeit viel zu kalt, denke ich und versuche an der Heizung zu drehen die sich nicht drehen lässt. „Na, hoffentlich ist nach dem Spiel die Dusche wenigstens warm. In die Schirikluft gestiegen, der man die ungefähr zweihundert mal waschen so langsam ansieht, die Spielerpässe durchgeschaut und raus. Auf dem frisch abgekreideten Platz angekommen, umgibt mich eine Mischung aus Muskelbalsam gemischt mit Nikotin und Restalkohol. Ein Spieler kommt aus dem angrenzenden Gebüsch und steckt sein Trikot wieder in seine Hose. Ein alles durchdringender Pfiff, gebietet allen Spielern sich zur Mittellinie zu begeben. Nun beginnt das Ritual der Begrüßung ,ich höre oft sehr originelle Sprüche, die den Spielern durchaus eine gewisse Kreativität bescheinigen. Es geht locker zu, ein Scherz hier eine Frage dort, wie der gestrige Abend war, meistens zu lang usw. Nach der Seitenwahl ,die ich seit Jahren mit einer Medaillie aus einem Marathonlauf vollziehe, schwärmen alle Spieler aus um zu ihren Positionen zu gelangen. Bis auf die beiden Akteure, die gleich den Anstoß treten werden.

Es wird ruhig, nur Sekunden und doch so intensiv, das ich diese Sekunden auch nach Jahren noch genieße. Ich habe den Eindruck, das es den Akteuren ebenso geht ,zumindest einigen. Der Anpfiff, alles rennt los, Schluss mit der Ruhe, jetzt wird der Lederball zum Gejagten, zur Beute, zum Opfer. Der gerade noch nachdenkliche Verteidiger wird zum Terrier. Alle Muskeln dienen nur noch einem Ziel, ein Tor zu erzielen. Antrainiert um den Ball unberechenbar ins Netz zu jagen, mit einer Power die atemberaubend sein kann. Ich bin hochkonzentriert. Ein langer Pass. Abseits? Mit einem Pfiff unterbreche ich das Match  Schiri, höre ich von mehreren Akteuren rufen. Das war kein Abseits .An
der Seitenlinie laufen die Betreuer und Trainer beider Parteien aufgeregt hin und her. Das war kein Abseits du Blindmann! Ungeachtet dieser Äußerungen setze ich das Spiel fort. Die erste Halbzeit verläuft ohne nennenswerte Zwischenfälle, ein schnelles athletisches Spiel, das ein beachtliches Laufpensum von allen Beteiligten abverlangt. Vier gelbe Karten, die nach meiner Einschätzung berechtigt waren. Eine gelbe für die Worte „Pfeif doch mal für uns ,Schiri“.

Eine Auswechselung wegen Verletzung. In der Halbzeitpause denke ich über den Spruch noch nach „Was er wohl damit meinte. Pfeif doch mal für uns ,Schiri !“ Ich pfeife für niemanden ,ich pfeife nach den Regeln. Auch in den unteren Klassen, muss genauso nach den geltenden Regeln gepfiffen werden, wie in der Bundesliga oder im internationalen Fußball und das wird es auch, aber das macht es manchmal nicht gerade leichter. Zweite Halbzeit. Es steht immer noch null zu null. Das Spiel wird zunehmend verbissener und aggressiver geführt. Die
Zweikämpfe werden brutaler. Nichts mehr mit Shakehands. Für die Zuschauer ein Fußballfest ,so wollen sie ihre Mannen sehen. Sie wollen sie kämpfen sehen und ich muss aufpassen, das es nicht überhand nimmt mit der Härte. Das ist mein Job als Schiri und dabei soll mir das Regelwerk so gut es geht helfen, der Rest ist wie man so schön sagt :Ermessenssache. Abstoß vom Torwart, es sind nur noch wenige Minuten zu spielen. Ich drehe mich vom Keeper weg in die gegnerische Richtung, plötzlich ein gellender Schrei. Ich drehe mich um die eigene Achse und sehe den Torwart am Boden liegen, sich vor Schmerz krümmt. Ein Mitspieler rennt auf den Übeltäter zu und schlägt ihn ins Gesicht .Mit einem Pfiff unterbreche ich die sehr hitzig gewordene Schlacht. Es kommt zur Rudelbildung. Ein weiterer Spieler kommt zu Fall. Mein Puls rast jetzt. Ich muss handeln. Die auf den Platz gelaufenen Betreuer, ermahne ich das Spielfeld sofort wieder zu verlassen, mit wilden Protesten gehorchen sie meinen jetzt doch unmissverständlichen Anweisungen. Mit aller Schärfe löse ich den Spielerhaufen auf und beordere die beiden Übeltäter zu mir. Zeige beiden die rote Karte und veranlasse sie das Spielfeld zu verlassen. Sie folgen meinen Befehl und gehen kleinlaut vom Platz. Die Schelte die die beiden von ihren Trainern noch bekamen konnte ich nicht hören. Durch meinen Pfiff wurde das Spiel fortgesetzt.

Die restlichen Minuten plus Nachspielzeit wegen der Unterbrechungen verliefen ohne nennenswerte Vorkommnisse .Mein letzter Pfiff an diesem Tag beendete das Spiel. 0 zu 0 kam am Ende für beide Parteien heraus. Bis auf diese unschöne Geschichte, ein kampfbetontes Spiel mit allen Fassetten die der Fußball zu bieten hat. Leicht geschafft gehe ich nach der Verabschiedung mit den Spielern vom Platz. Ein Trainer versucht noch eine Diskussion mit mir,
die ich unterbinde. In der Kabine stelle ich fest, dass die Dusche nur lauwarmes Wasser zu bieten hat. Ich nehme es hin. Danach kassiere ich meine Spesen und fahre nach hause.

Zu hause angekommen fragt meine Frau „Na wie war dein Spiel?“ Ich sage „Ach nichts Besonderes, ein Spiel wie jedes Spiel, aufregend und spannend und jetzt brauche ich einen Kaffee ,Schatz!“

Autor: Rolf Schroeder seit neunzehn Jahren Schiedsrichter in den Kreisklassen,
seit neunzehn Jahren Schiedsrichter aus Leidenschaft.

Das war nur ein kleiner Bilderbogen aus meiner Tätigkeit als Schiedsrichter, ich könnte Hunderte von Geschichten darüber schreiben, die alle sich wirklich so zugetragen haben und ein Ende ist nicht in Sicht. Nach neunzehn Jahren ist es immer noch so aufregend wie beim ersten Spiel, ich gebe zu vielleicht habe ich jetzt etwas mehr Routine nach all den Jahren, aber der Flair und die Faszination Fußball sind ungebrochen und machen süchtig. Ich glaube als Schiedsrichter, geht man eine intensive Ehe mit sich selbst ein. Denn in keiner anderen Situation, die das Leben einen auferlegt, durchleuchtet man Entscheidungen so oft und genau, wie die Entscheidungen die man auf den Platz trifft. Das kann im Leben helfen mit alltäglichen Problemen besser und gerechter fertig zu werden .

Rolf Schroeder
Schiedsrichter aus Leidenschaft

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