Richard Hempel hat gerne die Pfeife in der Hand. Auf dem Rasen fühlt sich der 28-Jährige aus Großnaundorf als eine Art Sozialarbeiter. Mit seiner Familie pflegt er eine besondere Tradition.
Großnaundorf/Dresden. Fußball-Schiedsrichter Richard Hempel hat von Natur aus den besten Überblick. Mit 1,99 Meter Körpergröße überragt er fast alle Akteure auf dem Rasen. Selbst ein Cristiano Ronaldo mit seinen 1,89 Meter müsste aufschauen. Hempel war mit 26 Jahren bei seinem Debüt jüngster Schiedsrichter in der 2. Bundesliga. Jetzt ist er zwei Jahre älter und schon ein gestandener Unparteiischer.
Schiedsrichter mit Taktgefühl: Für Richard Hempel spielt die Musik nicht nur auf dem Fußballplatz
Hempel stammt aus der Ortschaft Großnaundorf, einer knapp 900 Seelen zählenden Gemeinde im Landkreis Bautzen. So klein der Ort ist, so groß wird auch hier dem Fußball gehuldigt. Hempel schloss sich schon als Kind der Sportgemeinschaft Großnaundorf an. Später kickte er bei Einheit Kamenz, stand dort im Tor. Aus dieser Perspektive konnte er auch das Agieren der Schiedsrichter bestens beobachten.
„Tatsächlich war ich immer einer, der eher ein bisschen lauter gegen die Schiedsrichter gewettert hat“, erinnert er sich an seine Zeit als Spieler. Bei einem Hallenturnier habe er sich eines Tages sehr benachteiligt gefühlt. „Ich wollte das ganze Drumherum verstehen, die Regeln und alles, was dazu gehört. Ich wollte es besser machen als dieser Schiri im Turnier.“ Deshalb habe er sich der „Schiedsrichterei“ zugewandt.
Schon im Alter von zwölf pfiff Hempel sein erstes Spiel
Zu diesem Zeitpunkt hatte Hempel schon selbst ein paar Mal an der Seitenlinie gestanden – als Assistent seines Vaters, der ihm die Liebe zum Fußball quasi in die Wiege legte. Mit zwölf Jahren leitete Hempel junior erstmals selbst ein Spiel. Den Schiedsrichterschein hatte er per Ausnahmegenehmigung gemacht. Schnell lief er die unteren Ligen durch und kam schließlich in der 2. Bundesliga an.
Allerdings ist solch eine Karriere kein Selbstläufer. Beim Deutschen Fußball-Bund wird die Entwicklung genau beobachtet. „In Deutschland gibt es mehr als 50.000 Schiedsrichter. Da kann man sich ausmalen, wie spitz die Pyramide zum Ende hin wird“, sagt Hempel. Deshalb sei er glücklich, heute in der 2. Bundesliga und als 4. Offizieller in der Bundesliga agieren zu dürfen – zuletzt zum Beispiel im DFB-Pokalspiel von Union Berlin gegen Bayern München.
Felix Brych, Leiter für die Talententwicklung und das Spitzencoaching bei der DFB Schiri GmbH, sieht grundsätzlich viel Potenzial im Unterbau der deutschen Schiedsrichter, und Hempel gilt als eines der größten Talente. „Wir fördern gezielt ab der Regionalliga über das Perspektivteam und anschließend über das Spitzencoaching. Richard Hempel ist im Kader für dieses Spitzencoaching, hat also bereits viel Förderung bekommen und wird jetzt für weitergehende Aufgaben vorbereitet.“
„Ich bin gerne Schiedsrichter“, verrät Hempel kurz und knapp. Er sei ein entscheidungsfreudiger Mensch und habe einfach gerne die Pfeife in der Hand. Assistent an der Seitenlinie sei nicht so sein Fall gewesen. Da habe man sich immer wieder mal wieder auf andere Schiedsrichter einstellen müssen.
„Als Schiedsrichter ist man auch ein Psychologe“
Dass Hempel an der Evangelischen Hochschule Dresden Soziale Arbeit studierte und zusätzlich noch eine Ausbildung zum Deeskalationstrainer absolvierte, kommt dem 28-Jährigen nun zugute. „Eigentlich bin ich ja auch auf dem Spielfeld gewissermaßen eine Art Sozialarbeiter“, sagt er und lacht. Als Deeskalationstrainer gebe er noch Kurse, für andere Sachen sei wegen der „Schiedsrichterei“ nur wenig Zeit.
Hempel ist klar, dass er als Schiedsrichter bei Tausenden im Stadion im Fokus steht und schnell zu einer Hassfigur werden kann – je nach Pfiff bei den Heim-Anhängern oder Auswärtsfans. Dennoch findet er den Beruf faszinierend. „Man kann so viele Persönlichkeitseigenschaften entwickeln und schärfen, dass ich das nicht mehr missen möchte“. Ihn habe das Schiedsrichteramt krass geprägt.
„Es geht für mich gar nicht darum, in großen Stadien zu stehen oder bekannten Spielern die Hand zu geben. Das ist überhaupt nicht mein Ding“, meint Hempel. Als Schiedsrichter könne man aber Empathie und Durchhaltevermögen erlernen. „Man macht Sport, kann seine Fitness halten, ist mit Menschen in Kontakt. Als Schiedsrichter ist man auch ein Psychologe“, erklärt er.
Auf dem Rasen sieht sich Hempel als eine Art juristische Entscheidungsgewalt in verschiedenen Rollen – als Richter, Ankläger, aber auch als Verteidiger. Man müsse wohl ein bisschen verrückt sein und den Fußball so lieben, dass man alle äußeren Einflüsse ausblende. „In den unteren Klassen hört man auf den Plätzen ja jede Beleidigung. Je größer das Stadion, desto weniger bekommt man davon mit. Es wird immer anonymer.“
„Ich kann das gut filtern, weil ich Menschen um mich herum habe, mit denen ich alles besprechen kann“, erklärt Hempel und nennt zuerst seinen Vater. Es gebe immer wieder belastende Situationen. Auch mit seinem Schiedsrichterteam könne er so etwas bereden. Manche Zuschauer würden im Stadion einfach Luft ablassen wollen. Das gelte es auszublenden. Selbst Hassnachrichten auf Social Media wisse er mit seinem beruflichen Hintergrund einzuordnen.
Mit Hempels traditionellem Adventskonzert beginnt die Weihnachtszeit
In der Regel weiß Hempel anderthalb Wochen vorher, für welches Spiel er eingeteilt wird. Dass er an diesem Samstag zu Hause in Großnaundorf ist, steht sowieso fest. Denn dann lädt Familie Hempel zum traditionellen Weihnachtskonzert in die Kirche ein – so wie jeden Samstag vorm 3. Advent. „Das macht total viel Spaß und ein super Ereignis. Wir sind ja keine Profis, doch die ganze Familie singt dann – weil wir das gerne machen“, hat Hempel kürzlich im Schwarz-Gelb-Podcast von Sächsische.de und Radio Dresden erzählt.
Damit, so der Tenor der Besucher, fange die Weihnachtszeit so richtig an. „Das ist das schönste Feedback. Ich bin stolz auf meine Familie und alle, die das auf die Beine stellen. Und auch in diesem Jahr ist jeder herzlich eingeladen“, sagt Hempel, der wieder selbst singen wird und in seiner Freizeit auch Schlagzeug spielt.
SZ

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