DFB-Lehrwart und Regelexperte Lutz Wagner hat sich mit Sven Voss im Aktuellen Sportstudio über den Vorfall in Bochum unterhalten und fordert ein Umdenken aller am Fußball Beteiligten Personen, auch im Hinblick auf den Amateurfussball.
SV: War die Entscheidung des Schiedsrichter alternativlos?
Wagner: Ja, die Entscheidung von Benjamin Cortus war in der Tat alternativlos, absolut gerechtfertigt. Es war ein Angriff auf einen Spieloffiziellen (da ist es ganz egal ob ein Schiedsrichter oder Assistent). Bei diesem tätlichen Angriff, blieb ihm kein Spielraum.
SV: Christian Gittelmann hat eine Schädelprellung und ein Schleudertrauma. Das ist das eine. Aber es geht auch um die psychischen Folgen. Richtig?
Wagner: Sie sagen es. Und das ist in dem Moment noch das größere Problem. Obwohl ich bin erstmal froh, dass es Christian gut geht. Ihm gehts soweit den Umständen entsprechend gut und ich denke diese körperlichen Folgen wird er schon schnell abhaken. Aber wie Sie sagen, er wird dann irgendwann wieder an der Linie stehen und da gibts eigentlich nur, so schnell wie möglich wieder rauf auf den Platz und wieder das Gefühl bekommen. Aber es muss es eben auch verarbeiten und es bewältigen, dass er nicht mehr das Gefühl hat, hinter ihm steht jetzt jemand oder da kommt gleich was geflogen. Das wäre absolut Abträglich für die Konzentration. Gerade Assistenten müssen sich extremst auf Abspielzeitpunkt etc. konzentrieren da wäre das fatal und deswegen ist es ganz wichtig, dass er das wieder hinkriegt, wieder völlig unvorbelastet ins Spiel zu gehen.
SV: Wie können Schiedsrichter vor Anfeindungen geschützt werden?
Wagner: Ich bin ein Gegner das wir sagen, wir spannen irgendwelche Netze oder Plexiglasscheiben, weil da wäre letztlich nur die Wirkung angegangen. Wir müssen an die Ursache gehen. Die Ursache ist, dass gewisse Werte nicht mehr akzeptiert oder nicht mehr gelebt werden und es ist eben auch wichtig, dass da alle zusammenstehen. Es muss ein Umdenken gelebt, es darf nicht mehr weggeschaut werden. Das fängt bei den Fans an, wenn ich eben sehe, dass jemand so etwas macht, dann muss ich als Fan oder die positiven Fans zusammenhalten, den ausfindig machen. Das ist der Schritt der jetzt nötig ist, bevor wir überhaupt über Konsequenzen nachdenken, muss ein Umdenken in der Fanszene bzw. aller Beteiligten in den Köpfen erfolgen.
SV: Machen Sie sich Sorgen um den Schiedsrichter:innen-Nachwuchs?
Wagner: In der Tat. Es ist für uns mit Sicherheit kein gutes Argument, wenn wir um neue Schiedsrichter:innen werben und da müssen sich die Rahmenbedingungen verändern. Selbst wenn wir dann noch welche haben die kommen, die bleiben nicht lang. Es ist statistisch erwiesen, dass die Meisten im ersten Jahr wieder abspringen. Und wenn man dann eine Umfrage macht woran hats gelegen, sind die meistgenannten Gründe, ich komme mit den Rahmenbedingungen auf den Sportplätzen so nicht klar. Und ich glaube, dass ist ein alarmierendes Zeichen. Hier muss etwas getan werden. Die Rahmenbedingungen für alle (nicht nur die Schiedsrichter, auch die Spieler und Trainer) müssen wieder anders werden, die müssen wieder von Achtung geprägt werden, da müssen Werte im Vordergrund stehen. Da haben wir einiges zu tun. Und das müssen wir gemeinsam anpacken.