In der Analyse der Championsleaguespiele vom Dienstag beschäftigen wir uns ausführlich mit der umstrittensten Entscheidung des Abends, dem Abseitstor in Gladbach. Außerdem stand beim wichtigen Test von Tobias Stieler in Liverpool zweimal eine Rote Karte im Raum und auch in Bergamo ließ der Unparteiische Gnade walten.
Borussia Mönchengladbach – Inter Mailand (SR: Danny Makkelie)
Der niederländische Schiedsrichter Danny Makkelie traf im Spiel zwischen Borussia Mönchengladbach und Inter Mailand eine hitzig diskutierte Entscheidung, die in ihrer Entstehung und ihrem Sinn Fragen aufwirft.
Alassane Alea traf zum vermeintlichen 3:3, doch VAR Kevin Blom meldete sich. Breel Embolo befand sich beim Schuss, unbemerkt vom Gespann, im Abseits. Es musste allerdings noch beurteilt werden, ob er sich auch in strafbarer Position befand. Der Eingriff des VAR war völlig richtig, da es sich erst einmal um eine nicht erkannte, potentiell relevante Abseitsposition handelte, also ein sogenannter ‚seriously missed incident‘. Es schloss sich also die Frage an, die Makkelie vor dem Monitor selbst beantworten musste. War Embolo bereits aktiv, oder ist seine Position als passiv zu bewerten?
Wir äußerten von dieser Seite aus in der Vergangenheit ja bereits öfter Kritik an derzeit gängigen Auslegungen und auch hier ist der Sinn eigentlich kaum noch zu erkennen und über die Bewertungskriterien lässt sich eine Doktorarbeit schreiben. Wir wollen versuchen, es so einfach, wie möglich zu halten:
Bei der Bewertung, ob ein den Ball nicht berührender Spieler aktiv und somit strafbar im Abseits war, unterscheidet man zwischen dem Parameter der ‚line of Vision‘, also dem Sichtlinienabseits und dem der ‚clear and obvious action‘, also eine mit der Szene in Verbindung stehende, klare Aktion des Angreifers. Ist eines der Kriterien erfüllt, wird die Abseitsposition als aktiv und somit strafbar angesehen.
Heute äußerte sich bereits DFB-Lehrwart Lutz Wagner in einem Interview, dass hier keine Sichtfeldbehinderung vorlag, aber durch den Sprung von Plea eine klare Aktion vorlag. Sicher kann man das am äußersten Rand der Regel so sehen.
Viele Zuschauer fragten sich auch, ob die viel zitierte, klare Fehlentscheidung vorlag und der VAR überhaupt eingreifen durfte. Die Antwort ist hier, dass er das wohl durfte. Da das Gespann auf dem Feld nicht erkannte, dass Embolo überhaupt im Abseits stand, musste hier der Eingriff folgen, da die Abseitsposition an sich ohne Spielraum beurteilt wird. Der Spielraum bei der Bewertung, ob Embolo aktiv, oder passiv war, entstand erst als Folge davon.
Allerdings wirft dann der Prozess der Entscheidung des niederländischen Unparteiischen vor dem Bildschirm Fragen auf: Konnte man in den Sprung Embolos eine klare Aktion irgendwie hineininterpretieren, so wurde im letzten Bild, bevor Makkelie auf das Feld zurückkehrte, klar ein Standbild beim Schuss aus Sicht des Torwarts gezeigt, mit der normalerweise die ‚line of vision‘ untersucht wird. Dies muss nicht zwingend ausschlaggebend sein, doch konnte man hier keine Sprungbewegung Embolos bewerten. Klarheit über die Entscheidungswege könnte hier wohl nur der Unparteiische und/oder die UEFA selbst geben.
Hier möchten wir hier noch einmal die Kritik an den derzeitigen Auslegungen aufgreifen:
Der Sinn, warum eine strafbare Abseitsposition geahndet werden muss, ist doch, dass man einen nicht vorgesehenen Vorteil für den Angreifer aus dieser Position verhindert möchte. Hier will sich Embolo eigentlich eher „passiv“ machen und auch Handanovic steht einfach in der falschen Ecke, womit das eigentlich dem Wort ‚Vorteil‘ widerspricht. Allerdings kommt man dann wieder zur Frage, wie man das ganze dann eingrenzt, ohne die Regel ähnlich der Handspielregel komplett undurchsichtig zu machen.
Am Ende ist die Entscheidung von Danny Makkelie vom Regelwerk gedeckt, wirft aber im Prozess fragen auf und ist sicher keine, mit der der Fußball glücklich wird.
Atalanta Bergamo – FC Midtjyland (SR: Anastasios Sidiropoulos)
Berat Djimsiti rauschte mit offener Sohle und beiden Beinen voran in Sory Kaba und hatte viel Glück, nur mit der gelben Karte davon zu kommen. Die Trefferfläche ist hier fast schon das einzige Merkmal, das nicht voll erfüllt war und die Wahrnehmung, sowie die sofortige Entscheidung gaben wohl den Ausschlag, dass sich der deutsche VAR Christian Dingert nicht meldete. Es scheint wohl so Anweisung zu sein, dass sich der VAR nur bei falsch wahrgenommener Trefferfläche in die Bewertung von Fußfouls einmischt.
Dann ist die Zurückhaltung auch nachzuvollziehen. Hier lag aber ein klassischer Fall vor, in dem die Intensität der Trefferfläche als Kriterium eindeutig vorzuziehen ist. Deshalb hätte hier bereits auf dem Platz die Rote Karte für den Atalanta-Profi gezeigt werden müssen! [TV-Bilder]
FC Liverpool – Ajax Amsterdam (SR: Tobias Stieler)
Klare Torchance oder nicht, dies war in der nächsten Szene die Frage: Ajax Amsterdam war weit aufgerückt, verlor den Ball und Liverpool begann, zu kontern. Sadio Mane wurde von Peer Schurrs gelegt und erhielt vom deutschen Schiedsrichter Tobias Stieler die gelbe Karte. Ausschlaggebend, hier die gelbe Karte zu zeigen, war wohl, dass sich das Foul recht weit an der rechten Flügelposition und mit noch einigem Abstand zum Strafraum abspielte. Außerdem hätte Dusan Tadic in der Mitte eventuell noch eingreifen können. Klar wäre Mane, wenn man individuell von seinen Fähigkeiten ausgehen würde, wohl beiden davongerannt, doch sind hier eben zwei Argumente, die dagegen sprechen, eine klare Torchance anzunehmen. Deshalb geht für uns die gelbe Karte hier in Ordnung. [TV-Bilder]
In der Nachspielzeit war es dann Mane, der verwarnt wurde, nachdem er direkt vor den Augen von Assistent Mike Pickel seinen Ellenbogen gegen Nicolas Tagliafico einsetzte und diesen im Gesicht traf. Werkzeug oder Waffe? Stieler und Pickel entschieden sich für das Werkzeug und gaben die gelbe Karte. Man kann Mane nicht in den Kopf schauen, doch bei objektiver Bewertung kann man schwer davon ausgehen, dass er den noch etwas entfernt positionierten Tagliafico gezielt einen Schlag verpassen wollte, sondern eher, dass er sich diesen vom Leib halten wollte und dafür den Ellenbogen einsetzte. Mit der Verwarnung sind wir also auch hier einverstanden. [TV-Bilder]
Zum Abschluss noch eine Szene, die kein Schiedsrichtergespann gern hat und die Erinnerungen an Wembley weckt:
Dänemark – Italien (SR: Dr. Riem Hussein)
Mit einer extrem undankbaren Situation hatte es die deutsche Schiedsrichterin Dr. Riem Hussein beim EM-Qualifikationsspiel zwischen Dänemark und Italien zu tun. Ein Distanzschuss prallte von der Unterkannte der Latte eventuell sogar hinter die Torlinie und wieder ins Spielfeld. Aus ihrer – völlig korrekten – Position hatte Assistentin Melissa Joos nicht die geringste Chance, hier eine Bewertung der Szene zu vollziehen. Auch anhand des Videos hat man ohne Zeitlupe Mühe, die Position des Balles einwandfrei zu erkennen.
Die Torlinientechnologie hatte Riem Hussein nicht zur Verfügung. [TV-Bilder]