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Schams Golzari gilt als großes Talent im NFV-Kreis Lüneburg

Mit 17 per Ausnahmegenehmigung Herren pfeifen

Knapp 60.000 aktive Fußball-Schiedsrichter gibt es in Deutschland, und Schams Golzari ist einer davon. Der Buxtehuder ist eine Ausnahmeerscheinung in der Region. Mit 17 Jahren leitet Golzari bereits Spiele der Bezirksliga. Das TAGEBLATT hat ihn begleitet.

Schams Golzari gilt als großes Talent im NFV-Kreis Lüneburg

Michael Eisenhardt drückt aufs Gaspedal. Drei junge Schiedsrichter sitzen in seinem Auto. Sie sind etwas spät dran. Also wird über huckelige Landstraßen abgekürzt, ein Lastwagen überholt und vor dem Sportplatz in erster Reihe geparkt. Aus dem Auto steigen Schams Golzari (17) und seine Assistenten Noah Thiele (19) und Hagen Wöhlk (15). In 50 Minuten leitet Golzari, weiße Turnschuhe, Zahnspange, Bartschatten, das Bezirksligaspiel zwischen Lamstedt und Eintracht Cuxhaven.

Golzari ist eine Ausnahmeerscheinung im NFV-Bezirk Lüneburg. Mit 17 Jahren pfeift er seit dieser Saison Spiele in der Bezirksliga. „Er ist eines unserer großen Talente“, sagt der Vorsitzende des Schiedsrichterausschusses, Berthold Fedtke. Durch seine „sehr guten Leistungen“ auf Kreisebene hat sich Golzari für den Bezirk empfohlen. Dort stehen 87 Schiedsrichter auf der Liste.

12.50 Uhr. Der Arbeitstag des Schiedsrichters beginnt in einer Doppelhaushälfte in Buxtehude. Hier wohnen seine Schwester Mitra Eisenhardt und Ehemann Michael. Gemeinsam mit Golzari und seinem Assistenten Noah Thiele sitzen sie am Esstisch. Es gibt Kaffee und Butterkuchen mit Zuckerguss; Golzari schenkt sich lieber einen Schluck Wasser ins Glas. Dann erzählt er, dass er tags zuvor ein Spiel der A-Jugend-Niedersachsenliga geleitet hat. „Dafür waren wir fünf Stunden unterwegs.“ Und gleich geht es weiter: nach Lamstedt.

Seine Schwester verteilt den Kuchen auf die Teller. Bevor Golzari nach Hamburg gezogen war, lebte er bei ihr in Buxtehude. Jetzt kommt er an den Wochenenden zu Besuch, ist wegen seiner vielen Einsätze aber selten daheim. Er pfeift bis zu 70 Spiele pro Saison. „Die Konkurrenz ist groß“, sagt Golzari. „In der Bezirksliga muss man zuverlässig da sein.“ Die Verwandtschaft gibt sich verständnisvoll. „Wir sind unheimlich stolz“, sagt die Schwester. „Man merkt, dass es seine große Leidenschaft ist.“ Golzari will offenbar hoch hinaus, sagt es aber nicht.
Ich habe viele Jahre Fußball gespielt. Ich wollte später verstehen, wie es ist, Situationen zu bewerten. Das hat mich fasziniert.

Golzari machte mit 14 den „Schirischein“, war wenig später erstmals Assistent bei einem Kreisligaspiel des FC Este. „Da war zum Glück nicht viel los“, sagt er. Golzari, inzwischen Schiedsrichter-Obmann bei Eintracht Immenbeck und Jungschiedsrichter 2017 im NFV-Kreis Stade, blieb dabei. Warum? „Ich habe viele Jahre Fußball gespielt. Ich wollte später verstehen, wie es ist, Situationen zu bewerten. Das hat mich fasziniert.“ Das Finanzielle sei damals auch ein Grund, aber kein entscheidender gewesen. 30 Euro bekommt Golzari momentan für einen Einsatz, zuzüglich der Kilometerpauschale. Peanuts, gemessen an den Ausgaben für das Equipment. Die elektronischen Funkfahnen für die Assistenten etwa muss Golzari stellen. Kostenpunkt: knapp 700 Euro.

13.05 Uhr. Golzari ist noch zu jung, um alleine Auto zu fahren. Also „chauffiert“ sein Schwager das Gespann nach Lamstedt. Auf dem Weg sammeln sie in Fredenbeck den anderen Assistenten, Hagen Wöhlk, ein und merken, dass sie etwas spät dran sind. Michael Eisenhardt drückt aufs Gaspedal. Felder mit Kühen ziehen vorüber. Die Oste bei Hechthausen. Die Windmühle „Caroline“. Dann erreichen sie den „Ferienort“ Lamstedt, so steht es auf dem Ortsschild.
Nicht nur die Noten sind entscheidend

Wer als Schiedsrichter wie Golzari nach oben möchte, sagt Berthold Fedtke, müsse jung anfangen und die für den Aufstieg erforderlichen Leistungen erbringen. Das sind nicht nur die Noten, die aus den Beobachtungen hervorgehen. Die Schiedsrichter, so Fedtke, müssten auch Leistungsprüfungen bestehen und Lehrgänge absolvieren, sie müssten einsatzbereit sein, offen, ehrlich und so weiter. „Wenn am Saisonende alles passt, könnte er in die Landesliga aufsteigen.“

14.10 Uhr. Golzari und seine Assistenten begehen den Platz. An der Torauslinie machen sie Halt. „Unterstützt mich ruhig bei Fouls“, sagt Golzari. Über Situationen im Strafraum werde er entscheiden, „außer ihr seid euch absolut sicher“. Golzari legt die Linie für das Spiel fest. Falls die Assistenten mehr sehen als er, gibt es eine Reihe von Signalen, die sie jetzt abstimmen. Hand vor dem Bauch bedeutet Gelb, Hand vor den Weichteilen: Rot. Die Assistenten können Golzari auch ein Signal mit ihrer Funkfahne senden. Dann vibriert sein Armband.

15 Uhr. Das Spiel soll beginnen, doch die Cuxhavener fehlen. Golzari schickt Assistent Wöhlk zur Gästekabine. „Mach bitte Druck. Wir wollen anfangen“, sagt Golzari. Dann führt er, ein 17-jähriger Schüler, 22 Männer auf das Spielfeld, die allesamt älter sind als er. Golzari legt den Ball auf den Anstoßpunkt.

Wie verschafft sich ein 17-Jähriger Gehör? „Auf die Balance kommt es an“, sagt Golzari. Er will nicht der strenge Spielleiter sein. „Es gibt Spieler, bei denen man einen lockeren Spruch bringen kann.“ Und wenn es drauf ankommt, habe er keine Scheu, den Spielern klarzumachen, dass er den Ton angibt. „Wichtig ist, immer auf Augenhöhe zu kommunizieren.“
Alles unter Kontrolle – beinahe

Die erste Halbzeit. Würden Golzaris Laufwege visualisiert werden, würde ein Großteil derer durch die Lamstedter Hälfte verlaufen. Cuxhaven ist überlegen, führt 2:0. Golzari hat das Spiel unter Kontrolle, beinahe. Denn einmal kommt es zu einer strittigen Situation: Foul innerhalb oder außerhalb des Lamstedter Strafraums? Golzari zeigt zuerst auf den Punkt, gibt dann nach Rücksprache Freistoß.

Oft heißt es: Wenn es gut läuft, wird der Schiedsrichter nicht beachtet. Läuft es schlecht, wird er verflucht. Das stimmt, sagt Golzari. „Ich bin froh, wenn man nach einem Spiel nicht das Thema ist.“ Und wenn doch, sei es gut, sich ein dickes Fell zuzulegen. Gewalt habe er noch nicht erlebt, anders als Assistent Thiele, dem ein Zuschauer bei einem Landesligaspiel mit der Faust ins Gesicht geschlagen habe – Kieferprellung. „Ich wollte aufhören, es macht aber zu viel Spaß.“.
15.52 Uhr. Halbzeit. Das Gespann betritt ihre Kabine. Fliesen, Neonlicht, eine Duschkabine, ein Waschbecken, auf acht Quadratmetern. Die Drei sitzen, trinken Wasser aus Flaschen. Sie diskutieren die strittige Entscheidung, sprechen über auffällige Spieler, resümieren den Spielverlauf. „Insgesamt ist alles gut“, sagt Golzari, „im Spiel ist ja auch nicht viel los.“ Die Assistenten nicken.
Golzari steht mehrmals in der Saison unter Beobachtung. So auch in Lamstedt. Dort protokolliert ein Mann mit einem Klemmbrett vor dem Bauch und einer Stoppuhr um den Hals jede Entscheidung des Schiedsrichters. Matthias Kopf, Schiedsrichter-Lehrwart des NFV, geht es darum, Golzaris Leistung zu bewerten, aber auch, ihm Feedback zu geben. Kopf hat unzählige Schiedsrichter auf dem Weg nach oben begleitet, auch Bundesliga-Schiedsrichter Harm Osmers. Er weiß, dass der Flaschenhals enger werde, je höher ein Unparteiischer aufsteige. Allein in der Oberliga Niedersachsen gebe es nur 26 Schiedsrichter. „Es reicht nicht, nur Talent zu haben“, sagt Kopf. „Man braucht auch Glück und einen langen Atem.“
16.48 Uhr. Golzari pfeift pünktlich ab. Cuxhaven gewinnt mit 6:0. Vor dem Duschen betritt Schiedsrichter-Beobachter Kopf die Kabine, das Klemmbrett liegt auf seinem Schoß. Er spricht die strittige Entscheidung an. Rät dazu, die Spieler bei der Ansprache zu siezen. Und er lobt: Golzari habe die Vorteilsauslegung „sehr zielgerichtet“ angewendet. Kopf zeigt ihm den Daumen nach oben. Die Note gibt es in den nächsten Tagen.
Vor der Kabine wartet der Schwager. Michael Eisenhardt ist beeindruckt, wie abgeklärt Golzari die Partien leite, und glaubt, dass er es „hoch schaffen“ werde. Dann tauchen die Drei auf. Zuerst wird Hagen Wöhlk in Fredenbeck abgesetzt, dann Noah Thiele in Apensen. Um 19 Uhr erreichen sie Buxtehude. Wenig später fährt Golzari mit der Bahn zurück nach Hamburg-Barmbek. Am Montag geht er wieder zur Schule.
Schams Golzari freut sich auf den Februar kommenden Jahres. Dann wird er 18, dann darf er alleine Auto fahren. Und das eigene Fahrzeug steht auch bereit. Zur Rückrunde ist er startklar.
Quelle: Tagblatt; Autor: Tim Scholz.

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