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Urs Meier, Ex Fifa Schiedsrichter

Schweizer-Schiri-Legende Meier pfeift deutsche Schiris zusammen

In den letzten Jahren haben die Diskussionen über das Niveau deutscher Schiedsrichter zugenommen, denn trotz VAR häufen sich strittige Entscheidungen. Ex-Referee Urs Meier sieht im deutschen System großen Nachholbedarf.

Eine unglaubliche Chance für die Deutschen 

„International gehören die deutschen Schiedsrichter nicht zu den Top-Drei-Nationen. Das sollte zu denken geben. Eigentlich müssten sie Top eins oder zwei sein. Das müsste der Anspruch sein – sind sie aber nicht“, sagte der 66-Jährige im exklusiven Interview mit RTL.

Diese Bestandsaufnahme sei nicht bloß seine Meinung, sie decke sich mit den Erfahrungen der großen Turniere.

„Bei den letzten zwei Weltmeisterschaften, wo Deutschland früh ausgeschieden ist, hätten deutsche Schiedsrichter im Viertel-, Halb- oder Finale stehen müssen. Waren sie nicht“, konstatierte Meier.

Aus Sicht des Schweizers müsste man das Schiedsrichterwesen beim Deutschen Fußball-Bund von Grund auf neu denken. „Es gibt keine professionellen Strukturen, keine echten Profi-Schiedsrichter in Deutschland. Das wäre längst überfällig“, so Meier.

Weniger VAR und klarere Regeln

Zudem bedürfe es einer besseren Vermittlung von „Fußballverständnis“. „Sie müssen in Körpersprache und Stellungsspiel geschult werden. Auch der Umgang mit Spielern ist entscheidend – Kommunikation, Präsenz“, zählte er auf.

Statt auf den VAR zu vertrauen, sollten zudem wieder mehr Entscheidungen auf dem Platz getroffen werden. „Seit acht Jahren gibt es den VAR in Deutschland – aber nicht weniger Diskussionen“, stellte Meier klar.

Es sei deshalb Zeit für „mehr Eigenverantwortung“. „Fouls, Karten, Spielgefühl, Chemie im Spiel: Das muss der Schiedsrichter übernehmen. Der Videoassistent kann das nicht“, so der ehemalige FIFA-Schiedsrichter.

In einigen konkreten Fällen gelte es aber auch, die Spielleiter zu entlasten und mehr Klarheit im Regelwerk herzustellen. „Die Handspielregel würde ich auf jeden Fall ändern. Sie wurde zu stark verkompliziert. Man sollte zurückkehren zur einfachen Frage: War es Absicht oder nicht? Geht der Ball zur Hand oder die Hand zum Ball?“, sagte Meier.

Urs Meier über:

die Bundesliga-Schiedsrichter im internationalen Vergleich:

„Grundsätzlich ist die Bundesliga für mich eine der besten Ligen der Welt – Top drei. Deutschland hat die größte Anzahl an Schiedsrichtern. England, Italien, Spanien haben weniger. Also müsste auch die größte Qualität herauskommen.“

„Bei Siebert und Jablonski sehe ich Stagnation. Die Entwicklung fehlt. […] Andere überholen sie – ein 35-Jähriger aus Frankreich (Anm. d. Red.: François Letexier), junge Schiedsrichter aus Schweden, Norwegen, Osteuropa.“

Maßnahmen, die der DFB ergreifen sollte, um die Schiedsrichter besser zu machen

„Man muss mit den Guten intensiv arbeiten, damit sie das nächste Level erreichen. Oft sind es nur drei, vier, fünf Prozent Verbesserung – wie bei Spitzensportlern. […] Manche sind fünf, zehn Jahre in der Bundesliga, haben immer noch die gleiche Körpersprache, die gleichen falschen Laufwege.“

die Einführung von Profi-Schiedsrichtern – auch in Deutschland – welche er bereits in seinem Buch forderte

„2016 habe ich den DFB-Präsidenten (Anm. d. Red.: Reinhard Grindel und Friedrich Curtius) in Paris getroffen. Sie sagten: ‚Wir haben Ihre Botschaft gelesen.‘ Ich fragte: ‚Und?‘ Antwort: ‚Wir sind dran.‘ Ich sagte: ‚2050, 2051?‘ Jetzt ist 2025 – und es ist immer noch nicht umgesetzt.“

„Die Schiedsrichter tun schon viel – beruflich, Familie, nebenbei. Die Zitrone ist ausgepresst. Der Saft muss von außen kommen – durch Entlastung. […] Es gibt keine professionellen Strukturen, keine echten Profi-Schiedsrichter in Deutschland. Das wäre längst überfällig. Die Bundesligavereine müssten mehr Druck auf den DFB ausüben. Die 19. Mannschaft – das müssten die Schiedsrichter sein. Punkt. Aber das sind sie nicht. Deshalb reden wir jedes Jahr über dieselben Versäumnisse, dieselben Probleme. Sie werden nicht angegangen. Wir können nächstes Jahr wieder ein Interview führen – und stehen wieder am gleichen Punkt.“

die Unterstützung von ehemaligen Profifußballern im Schiedsrichterwesen:

„Wer nie auf dem Mount Everest war, kann nicht erklären, wie es sich dort anfühlt. Deshalb: Holt ehemalige Profifußballer dazu. Sie können erklären, was im Kopf eines Spielers passiert.“

die Altersregelungen für Schiedsrichter im deutschen Fußball:

„Ein großer Fehler in Deutschland ist das Alterslimit nach unten. Sie verhindert, dass 26-, 27-Jährige, die noch nicht in einer höheren Liga pfeifen, aufsteigen können. Ehemalige Spieler mit Verletzungen, die umschulen wollen, haben keine Chance. Die müssten die Möglichkeit bekommen, Bundesliga oder sogar internationales Level zu erreichen. Junge Schiedsrichter brauchen mehr Zeit zur Entwicklung in unteren Ligen. Sie werden zu schnell hochgezogen – ohne Fundament. Der DFB muss die Altersgrenze aufbrechen. Sonst fehlen uns in Zukunft viele Schiedsrichter. Viele hören mit 25, 26 auf, weil sie keine Perspektive sehen. Dabei könnten sie noch 20, 30 Jahre pfeifen – wenn das System offen wäre. Es ist geschlossen, und das ist falsch.“

den Einfluss des VAR auf die Schiedsrichter und seine Forderung / seinen Rat – auch an den DFB

„Die Schiedsrichter sind irgendwo hinter dem VAR verschwunden.“

„Macht die Schiedsrichter wieder stärker. Akzeptiert auch mal einen Fehlentscheid. Seit acht Jahren gibt es den VAR in Deutschland – aber nicht weniger Diskussionen. […] Der Fußball ist nicht gerechter geworden – nicht bei Foulspiel, Elfmeter. Auch wenn der DFB andere Statistiken zeigt. Wenn ich beweisen will, dass der Airbag nicht funktioniert, muss ich gegen die Mauer fahren. Der VAR funktioniert, weil der Schiedsrichter keine Entscheidung trifft. Dann entscheidet der VAR – und alle sagen: Bravo, der VAR hat funktioniert. Aber warum? Weil der Schiedsrichter nicht entschieden hat.“

„Der Schiedsrichter soll das Spiel leiten. Heute pfeifen sie nur. Sie sind keine Spielleiter mehr. […] Ein Spielleiter führt das Spiel, hat eine Linie, eine klare Meinung. Er entscheidet – schneller als das Publikum.“

England als Vorbild bei der Ausbildung und Entwicklung von Schiedsrichtern:

„In England versucht man – und das kommt von der Führung unter Howard Webb –, den Schiedsrichtern mehr Eigenverantwortung zu geben. Das fordere ich schon lange: Wir müssen die Schiedsrichter stark machen. Sie müssen die Entscheidungen treffen. Der Videoassistent ist ein Fangnetz für klare Fehlentscheidungen. Der Rest soll der Schiedsrichter entscheiden, weil er mehr Informationen hat.“

„Die Ausbildung muss so sein, dass die Schiedsrichter eine Linie haben. […] In England ist klar: Es wird mehr laufen gelassen. Das wird von den Spielern akzeptiert.“

die Acht-Sekunden-Regel:

„Früher gab es eine Sechs-Sekunden-Regel mit der Konsequenz eines indirekten Freistoßes – ein echter Vorteil für die angreifende Mannschaft. Jetzt zählt der Schiedsrichter die letzten fünf Sekunden herunter, und es gibt höchstens einen Eckball. Das ist für mich eine Bankrotterklärung der FIFA.“

Quelle: RTL/sport.de

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Dieter Albrecht

    Ich stimme Urs Meier in einigen Punkten zu. Derzeit haben wir in Deutschland lediglich zwei internationale Spitzenschiedsrichter mit den Berlinern Felix Zwayer und Daniel Siebert. Das wird aus den Ansetzungen der UEFA sehr gut erkennbar. Die Nummer drei, Tobias Stieler, steht schon nicht mehr in der aller vordersten Linie, ist an den bisherigen drei Spieltagen in der Champions League noch ohne einen Einsatz geblieben.
    Zweifel bleiben bestehen, ob sich Harm Osmers, Sven Jablonski oder etwa ein Daniel Schlager, der seit Jahren zumeist als 4. Mann nominiert wird, möglichst schnell weiterentwickeln und ganz nach oben schaffen. Dahinter sind die weiteren Plätze auf der FIFA-Liste zwar besetzt, mehr aber nicht. Es fehlen Schiedsrichter mit einer charismatischen Ausstrahlung, wie es in der Vergangenheit ein Dr. Felix Brych und davor ein Dr. Markus Merk, beide als mehrmalige Weltschiedsrichter, gewesen sind.
    Ich stimme mit Urs Meier nicht überein, was seine wiederholten Aussagen nach Profi-Schiedsrichtern betrifft. Unsere Männer werden in der Bundesliga sehr gut bezahlt, was durchaus professionellen Standards gleichkommt. Ein „Vollprofi“ sieht auch bei bestmöglicher Schulung nicht mehr als andere. Dafür gäbe es genügend Beispiele. Ich denke nur an einen Nestor Pitana aus Argentinien, der das WM-Finale 2018 zwischen Frankreich und Kroatien etwas holprig und mit einigen Fehlern geleitet hat. Es gäbe zahlreiche weitere Beispiele.
    In einer grundsätzlichen Frage stimme ich mit Urs Meier völlig überein. Es kommt auf die Leistung, nicht auf das Alter an. Nicht jeder muss zehn Jahre oder länger auf höchstem internationalen Niveau pfeifen. Es gibt aber zu wenige Schiedsrichter, die den schnellen Durchbruch schaffen. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet der Franzose Francois Letexier, der bereits ein EM-Finale geleitet hat, dem eine große Zukunft gehört und mit Mitte dreißig noch mindestens ein volles Jahrzehnt pfeifen kann.
    Fazit: Das deutsche Schiedsrichterwesen stagniert. Einige kommen in der Bundesliga ganz gut zurecht, genügen darüber hinaus aber nicht den hohen internationalen Anforderungen. 2026 hören nach eigenen Verlautbarungen vier Bundesliga-Schiedsrichter auf. Es liegt an den in den Startlöchern kauernden Nachrückern, hart an sich zu arbeiten, schnell einen höheren Standard zu erreichen, um mehr deutsche Schiedsrichter wieder ganz nach vorn zu bringen.

    1. Reiner Kuhn

      Haben wir mal wieder total unterschiedliche Auffassungen. Urs bleibt nur so im Gespräch, sonst will ihn niemand. Zwayer macht international seinen Weg…. Und ich hoffe noch auf Jablonski…… mehr als zwei hat doch auch kein anderes Land. Und was träumst von Merk und Brych. Brych hat bei der letzten WM ein Spiel gepfiffen und wurde heim geschickt. Merk hat von Volker Roth als Obmann der FIFA und UEFA profitiert. Eigentlich wollte ihn die FIFA nach der Olympiade in Barcelona streichen….. und wen hatte der DFB neben den genannten. Auch niemanden. Klar hatte man von Aytekin und Siebert mehr erwartet …. Aber es ist auch nicht einfach….. und Glück gehört auch etwas dazu…… bisher war immer ein Deutscher SR bei allen Turnieren…… von vielen Ländern niemand…… und selbst bei der WM in Deutschland war nur ein Deutscher….. das war doch nicht besser……. Und Merk wurde bis zum Schluss hingehalten und dann bekam er nichts mehr……

  2. Reiner Kuhn

    Und wenn ich das immer mit dem VAR höre. Es ist eine Rückfallebene für schwere Fehler. Und in den allermeisten Fällen hilft er ja auch…. Klar macht er auch Fehler und es gibt Streitsituationen….. aber selbst die Schweiz hat zur Ausbildung ihrer VAR Krug geholt und nicht ihren Urs….

  3. Dieter Albrecht

    Doch! Frankreich ist beispielsweise mit vier leistungsmäßig starken Schiedsrichtern hervorragend aufgestellt (siehe bisherige Einsätze in der CL).
    Felix Brych wurde 2018 nicht wegen eines verweigerten Elfmeters sondern aus politischen Gründen heimgeschickt. Der völlig durchgeknallte Serben-Trainer Krstajic wollte Brych sogar dem Europäischen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellen lassen. FIFA-Schiedsrichterchef Collina hat darauf entsprechend reagiert.

    1. Reiner Kuhn

      Frankreich hat mit Letexier und Turpin zwei Elite SR……. Brych wurde natürlich wegen schlechter Leistung heimgeschickt….. klar konnte man darüber streiten, ob das gerecht war….. hat halt ein klarer Elfmeter gefehlt…… und Collina hat ihn heimgeschickt…… und ganz Serbien stand Kopf…… und Siebert hat sich bei der letzten WM auch beinahe ins Aus gepfiffen…… in seinem letzten Spiel mehrere klare Fehler….. er kämpft bis heute noch damit……

  4. Dieter Albrecht

    Im Detail: In Frankreich stehen Francois Letexier und Clement Turpin ganz oben. Stefanie Frappart, die bei der WM 2022 zu einem Spiel eingeteilt wurde, gehört ebenfalls dazu, aber vorrangig bei den Frauen. Italien hat nach dem Rücktritt von Daniele Orsato, wieder vier Schiedsrichter mit Davide Massa, Marco Guida und Maurizio Mariani im Aufgebot. Neu hinzugekommen ist Simone Sozza.
    England verfügt nach längerer Zeit über einen dritten Mann. Michael Oliver ist unumstritten die Nummer eins. Chris Kavanagh dürfte für den wahrscheinlich bis zur WM 2026, auf jeden Fall aber danach, die Nachfolge für den ausscheidenden Anthony Taylor antreten. Danach wären es wieder nur zwei.
    In Spanien hat sich Jesus Gil Manzano an die Spitze vorgekämpft. Hinter Jose Sanchez Martinez bleibt die Reihenfolge unklar. Natürlich haben wir in Deutschland drei Namen auf der Elite-Liste. Die Position hinter Felix Zwayer und Daniel Siebert nimmt Tobias Stieler, auch ohne CL-Einsatz der laufenden Saison ein.
    Kandidat für den möglichen vierten Platz bleibt, trotz herber und mitunter sehr unsachlicher Kritik, Harm Osmers. Davon ist ein Sven Jablonski noch ein gutes Stück entfernt. Natürlich leidet Siebert psychisch wohl noch immer unter den Folgen mit den Begebenheiten nach dem Spielende des unseligen WM-Spiels von 2022, Uruguay gegen Ghana (2:0), steht von der Leistung aber ohnehin hinter Zwayer.
    Bleibt abwarten, wer zur großen WM 2026 berücksichtigt wird. Noch einmal zu Frankreich: Letexier ist gesetzt. Turpin muss, wie es einst bei ihm selbst gewesen ist, einem Jüngeren den Vortritt lassen. Bleibt die Frage, ob der erfahrene Schiedsrichter als zweiter Mann nominiert wird. Für Frappart wird in dem Teilnehmerfeld kein Platz sein. Die WM könnte ohne Teilnahme einer Frau als Schiedsrichterin bleiben.
    Zu Felix Brych: Beides trifft zu. Es war aber eine glatte Unverschämtheit, dass Krstajic mit einem „Trinkgeld“ von 2500,00 Schweizer Franken bestraft wurde. Richtig wäre gewesen, die Kommastelle zu entfernen.
    Zu Markus Merk: Es mag sein, dass er Vorteile unter Volker Roth hatte. Er wurde dreimal zum Weltschiedsrichter ernannt. Darauf hatte auch Roth keinen Einfluss.
    Felix Brych und Markus Merk sind zwei absolute Lichtgehalten und Aushängeschilder der deutschen Schiedsrichtergilde in drei Jahrzehnten.
    Bleibt als Fazit: Dieses ist ein hochinteressanter Dialog zwischen dem IG-Chefredakteur und einem unabhängigen Mitarbeiter aus der zweiten Reihe.

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