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Aufrichtiger Stegemann geht Fehler auf den Grund

Schiedsrichter Sascha Stegemann räumt in mehreren Interviews unumwunden ein, dem BVB in Bochum zu Unrecht einen Strafstoß verweigert zu haben. Wie aber erklärt sich dieser Fehler, den auch der VAR nicht behob, in regeltechnischer Hinsicht? Und weshalb ging der Referee nicht von sich aus an den Monitor?

Von: Alex Feuerherdt; Er lebt in Köln und ist dort seit vielen Jahren verantwortlich für die Aus- und Fortbildung der Unparteiischen. Außerdem wird der 52-Jährige als Schiedsrichter-Beobachter in Spielklassen des DFB eingesetzt und arbeitet für den Verband auch als Schiedsrichter-Coach. 

Es ist das Los der Schiedsrichter, dass gute Leistungen von ihnen oft nur am Rande gewürdigt werden, Fehler und strittige Entscheidungen dagegen oft genug zu überbordenden Reaktionen führen, bisweilen sogar zu Drohungen und körperlichen Angriffen. Vor Wochenfrist brach der Unparteiische Nicolas Winter das Drittligaspiel FSV Zwickau – Rot-Weiss Essen ab, nachdem ihm ein Zuschauer in der Halbzeitpause aus Nahdistanz den Inhalt eines Bierbechers ins Gesicht geschüttet hatte. Nun stellte Winters Kollege Sascha Stegemann bei der Polizei einen Strafantrag, nachdem ihm und seiner Familie „sehr konkret gedroht“ wurde, wie er in der Sendung „Doppelpass“ sagte.

Der Fifa-Referee hatte am Freitagabend das Bundesligaspiel zwischen dem VfL Bochum und Borussia Dortmund (1:1) geleitet und war danach aus den Reihen des BVB heftig kritisiert worden. Die Dortmunder behaupteten, Stegemann habe drei gravierende Fehlentscheidungen zu ihren Ungunsten getroffen: Er habe vor dem 1:0 der Bochumer ein Foulspiel von Philipp Hofmann an Emre Can nicht geahndet, in der 65. Minute die Grätsche von Danilo Soares in Strafraum des VfL gegen Karim Adeyemi zu Unrecht nicht mit einem Strafstoß geahndet und kurz vor Schluss nach einem Handspiel von Erhan Mašović, ebenfalls im Bochumer Strafraum, fälschlich nicht auf Elfmeter entschieden.

Zwei der drei vom BVB kritisierten Entscheidungen sind korrekt

Vor allem der Dortmunder Sportdirektor Sebastian Kehl wählte markige Worte bei seiner öffentlichen Kritik am Schiedsrichter: „Fahrlässig“, „feige“, „komplett falsch“ und „beschämend“ fand er dessen Entscheidungen, Stegemann „habe das Spiel entschieden und uns zwei Punkte gekostet“. Darüber, dass der BVB beim Abstiegskandidaten selbst beste Chancen nicht genutzt hatte, sprach Kehl nicht. Der Unparteiische selbst äußerte sich am Freitagabend nicht, dafür aber umso ausführlicher an den beiden Tagen darauf: Am Samstag gab er Interviews bei Sky, WDR2 und im ZDF-Sportstudio, am Sonntag stand er Rede und Antwort im „Doppelpass“.

Sascha Stegemann räumte unumwunden ein, dass er den Einsatz von Danilo Soares gegen Adeyemi als Foulspiel hätte bewerten müssen, statt weiterspielen zu lassen, und dass Video-Assistent Robert Hartmann aufgrund dieser Fehlentscheidung ein On-Field-Review hätte empfehlen müssen. Zu Recht wies der Referee jedoch auch darauf hin, in den anderen beiden von den Dortmundern monierten Situationen korrekte, zumindest aber vertretbare Entscheidungen getroffen zu haben: Den leichten Impuls von Hofmann gegen den Rücken von Can musste man nicht als Foulspiel bewerten, und Mašovićs Handspiel geschah, als der Bochumer seinen Arm nutzte, um sich beim Tackling abzufangen und am Boden abzustützen. Eine solches Handspiel ist nicht strafbar.

Wie und warum kamen Referee und VAR zu ihrer Fehleinschätzung?

Warum aber sah Stegemann in Danilo Soares‘ ungestümem Tackling gegen Adeyemi keine Regelwidrigkeit, und warum griff der VAR nicht ein? „Meiner Wahrnehmung nach war es so, dass Adeyemi den Fuß rausstellt und versucht, diesen Kontakt zu initiieren, den Elfmeter ein Stück weit zu suchen und dabei über den Bochumer Verteidiger drüber fällt“, sagte der Schiedsrichter gegenüber Sky. Deshalb habe er weiterspielen lassen. VAR Robert Hartmann habe diese Entscheidung überprüft und sei zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht klar und offensichtlich falsch war. Deshalb habe er auch nicht interveniert.

Das heißt: Hartmann konnte mit Stegemanns Sichtweise leben, was begreiflicherweise auch neutrale Beobachter verwunderte. Etwas besser versteht man das vermeintlich Unbegreifliche, wenn man um einen bestimmten Aspekt der Regelauslegung weiß: Stellt nach Einschätzung des Unparteiischen ein Angreifer sein Bein im Zweikampf nicht deshalb deutlich heraus, um den Ball abzuschirmen, sondern weil er vielmehr darauf spekuliert, dass der hinter ihm positionierte Gegner einen Schritt oder ein Tackling zum Ball unternimmt und dabei den Angreifer trifft, soll das vom Schiedsrichter nicht als Foulspiel bewertet werden. Tatsächlich ließ sich zuletzt immer häufiger beobachten, dass Stürmer auf diese Weise versuchen, einen Kontakt zu „ziehen“, um danach zu Boden zu gehen.

Weshalb ging der Unparteiische nicht von sich aus an den Monitor?

Im Zweikampf zwischen Danilo Soares und Adeyemi lagen die Dinge jedoch anders, wie auch der Referee erklärte: Der Bochumer sei mit viel Risiko und sehr unkontrolliert in den Zweikampf gegangen. „Das Argument, das überwiegt, ist, dass er nicht den Ball spielt und der Kontakt schließlich entgegen meiner Wahrnehmung nicht von Adeyemi hergestellt wird, sondern von dem Verteidiger“. Tatsächlich hat Danilo Soares seinen Gegenspieler mit Anlauf von den Beinen geholt, und man konnte Adeyemi hier gewiss nicht unterstellen, diesen Kontakt initiiert zu haben. Deshalb hätte es, wie Sascha Stegemann deutlich sagte, einen Strafstoß für den BVB geben müssen.

Da es aber keinen Elfmeter gab und auch der Eingriff des VAR ausblieb, stellte sich die Frage: Hätte der Schiedsrichter nicht aus eigener Initiative an den Monitor gehen und sich die Szene noch einmal ansehen können und sollen, wie die Dortmunder es befürworteten? Regeltechnisch kann der Unparteiische ein On-Field-Review auch aus eigenem Antrieb durchführen. „Dafür brauche ich jedoch berechtigte Zweifel an meiner Entscheidung“, so Stegemann, „und die hatte ich in dieser Situation nicht“. Er habe „eine klare Wahrnehmung zu dem Vorgang“ gehabt, es hätten „keine Indizien für die Bewertung“ gefehlt. Auch „die Proteste auf dem Spielfeld waren verhältnismäßig moderat“. Deshalb habe er davon abgesehen, sich die Szene noch einmal anzuschauen.

Stegemann ist seine Offenheit hoch anzurechnen

Das heißt: Hartmann konnte mit Stegemanns Sichtweise leben, was begreiflicherweise auch neutrale Beobachter verwunderte. Etwas besser versteht man das vermeintlich Unbegreifliche, wenn man um einen bestimmten Aspekt der Regelauslegung weiß: Stellt nach Einschätzung des Unparteiischen ein Angreifer sein Bein im Zweikampf nicht deshalb deutlich heraus, um den Ball abzuschirmen, sondern weil er vielmehr darauf spekuliert, dass der hinter ihm positionierte Gegner einen Schritt oder ein Tackling zum Ball unternimmt und dabei den Angreifer trifft, soll das vom Schiedsrichter nicht als Foulspiel bewertet werden. Tatsächlich ließ sich zuletzt immer häufiger beobachten, dass Stürmer auf diese Weise versuchen, einen Kontakt zu „ziehen“, um danach zu Boden zu gehen.

Weshalb ging der Unparteiische nicht von sich aus an den Monitor?

Im Zweikampf zwischen Danilo Soares und Adeyemi lagen die Dinge jedoch anders, wie auch der Referee erklärte: Der Bochumer sei mit viel Risiko und sehr unkontrolliert in den Zweikampf gegangen. „Das Argument, das überwiegt, ist, dass er nicht den Ball spielt und der Kontakt schließlich entgegen meiner Wahrnehmung nicht von Adeyemi hergestellt wird, sondern von dem Verteidiger“. Tatsächlich hat Danilo Soares seinen Gegenspieler mit Anlauf von den Beinen geholt, und man konnte Adeyemi hier gewiss nicht unterstellen, diesen Kontakt initiiert zu haben. Deshalb hätte es, wie Sascha Stegemann deutlich sagte, einen Strafstoß für den BVB geben müssen.

Da es aber keinen Elfmeter gab und auch der Eingriff des VAR ausblieb, stellte sich die Frage: Hätte der Schiedsrichter nicht aus eigener Initiative an den Monitor gehen und sich die Szene noch einmal ansehen können und sollen, wie die Dortmunder es befürworteten? Regeltechnisch kann der Unparteiische ein On-Field-Review auch aus eigenem Antrieb durchführen. „Dafür brauche ich jedoch berechtigte Zweifel an meiner Entscheidung“, so Stegemann, „und die hatte ich in dieser Situation nicht“. Er habe „eine klare Wahrnehmung zu dem Vorgang“ gehabt, es hätten „keine Indizien für die Bewertung“ gefehlt. Auch „die Proteste auf dem Spielfeld waren verhältnismäßig moderat“. Deshalb habe er davon abgesehen, sich die Szene noch einmal anzuschauen.

Stegemann ist seine Offenheit hoch anzurechnen

Das Argument mit den Protesten führte vor allem in den sozialen Netzwerken dazu, dass viele fragten, ob man damit nicht ein Verhalten herausfordere, das man gerade als Schiedsrichter doch eigentlich ablehnen müsse. Dieser Einwand scheint zunächst logisch und begründet. Stegemann wollte mit seiner Aussage allerdings auf etwas anderes hinaus: Wenn ein Protest ungewöhnlich heftig ausfällt, kollektiv-spontan und geradezu eruptiv ist sowie auf eine Art vorgetragen wird, die sich von den üblichen Reklamationen deutlich unterscheidet und offensichtlich nicht choreografiert ist – dann kann das für den Schiedsrichter ein Indikator dafür sein, dass er sich in der Bewertung eines Vorgangs deutlich geirrt oder etwas Wesentliches übersehen hat.

Es ist Sascha Stegemann hoch anzurechnen, dass er sich in einer emotionalisierten Diskussion mit schrillen Tönen, die vor allem in den sozialen Netzwerken einmal mehr über jedes erträgliche Maß hinausgingen, so ausführlich, klar und offen geäußert hat. Er hat einen Fehler konzediert, bedauert und analysiert, zudem hat er Verständnis für die Wut der Dortmunder gezeigt.

Wie belastend die Situation dabei für ihn selbst ist, war ihm anzumerken, zumal nach den Drohungen gegen ihn und seine Familie. Deshalb ist es gut und wichtig, dass BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke in einer Erklärung zur verbalen Abrüstung aufgerufen und deutlich gemacht hat: „Anfeindungen jeder Art, Verunglimpfungen oder Drohungen, sei es persönlich oder anonym über Social-Media-Kanäle, können wir – aller Enttäuschung zum Trotz – nicht einmal im Ansatz tolerieren.“

Quelle: ntv.de; Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Alex Feuerherdt sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. 

Dieser Beitrag hat 11 Kommentare

  1. Andreas Guffart

    Ein klarer Elfmeter den jeder im normalen Ablauf gesehen hat. Stegemann mit der gleichen Rede wie nach Frankfurt gegen Dortmund. Zwei solche Patzer werden diese Saison nur von Cortus überboten. Konsequent wäre den Stegemann runter von der fifa Liste zu nehmen (da hat er eh nie hingehört) und den Cortus in Liga zwei zu stecken. Wird natürlich nicht passieren, da ja alle sich ständig reflektieren usw.

  2. Torsten Schild

    Alle raus ist immer ein gutes Argument. Es gibt Gründe warum Stegemann Bundesliga pfeift und nicht jemand der jetzt in der 3. Liga eingesetzt wird. Was mich stört ist die ständige Schönrednerei über den Videobeweis. Kein richtiger Fan will ihn, da er dem Spiel das wichtigste Gut nimmt. Die Emotion! Wer jemals erlebt hat wie eine Kurve explodiert wenn ein Tor fällt und das mit heute vergleicht kennt den Unterschied.

  3. Dieter Albrecht

    Also lieber mit den Fehlern leben, die das Spielergebnis verfälschen. Das war 55 Jahre in der Bundesliga so. Jetzt gibt es durch den Videobeweis mehr Gerechtigkeit. Aber das scheint einigen Fans völlig egal zu sein. Hauptsache die Emotionen freisetzen. Da spielt es letztlich keine Rolle, ob ein Tor korrekt erzielt wurde.
    Was die BL-Schiedsrichterliste betrifft: Es kann nur abgestuft werden, wenn dahinter bessere Nachfolger aus der 2. Liga kommen.

  4. Andreas Guffart

    Der Videoassistent macht den Fußball nur gerechter wenn er funktioniert, in Deutschland ist dies jedoch nach wie vor nicht der Fall. Bei den Schiedsrichtern gehört Auf und Abstieg eingeführt und eine offizielle Tabelle veröffentlicht. Dann könnten sich alle in der 2. Liga wieder neu empfehlen, oder bei manchen wäre es halt dann die passende Liga (Cortus)

  5. Klaus St.

    Was heißt denn hier ,,aufrichtiger Stegemann“ ?
    Was soll er denn nach so einer ,,Scheisspfeiferei“ auch sagen ? Es gibt nur zwei Varianten entweder er macht so arrogant wie auf dem Platz weiter( laut Spieleraussagen) oder man fährt für Geld gleich wieder in Fernsehen und versucht dort mit ausgedachten Worthülsen (,, es war für mich ein dynamischer Vorgang“) seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen ! Der Fußball sollte eigentlich nur von dynamischen Vorgängen leben und wenn er diesen nicht mehr gewachsen ist , gibt es nur eine Empfehlung – aufhören . Natürlich würde er sich auch gegen das Geld entscheiden doch dazu fehlt ihm dann der Mut!

  6. Dieter Albrecht

    Was die Arroganz betrifft, sind diese bei vielen Spielern stark ausgeprägt. Sie reklamieren mitunter schon bei Kleinigkeiten und finden dabei nicht den richtigen Ton. Nicht immer die Schiedsrichter als arrogant darstellen. Wer sich so äußert, hat viermutlich nie selbst ein Spiel geleitet.

  7. Andreas Guffart

    Dieter das ist doch keine Rechtfertigung, wenn die Spieler es falsch machen, dass es der Schiedsrichter auch darf. Für mich ist dieser Leistungseinbruch in dieser Saison, bei nahezu allen Schiedsrichtern, schwer nachzuvollziehen

  8. Andreas Guffart

    Die nächsten Reportagen über die Schiedsrichter tragen dann den Titel: Hinter den Kulissen von Beschissen….

  9. Dieter Albrecht

    Natürlich muss sich jeder Schiedsrichter auf dem Platz und außerhalb absolut korrekt verhalten. Das ist ja grundsätzlich auch der Fall. Es gibt bei einigen Schiedsrichtern einen unerklärlichen Leistungsabfall mit großer Verunsicherung in der Spielleitung. Derzeit wird z.B. Benjamin Cortus in der Rückrunde vermehrt in der 2. Liga eingesetzt. Es ist sicher schwer, über viele Jahre oder zwei Jahrzehnte ein hohes Niveau zu halten, wie das bei Felix Brych oder Deniz Aytekin der Fall ist. Das liegt auch am souveränen Auftreten der beiden deutschen Spitzenschiedsrichter, durch die Erfahrung auf internationaler Ebene. Ich verfolge die Situation auch in den anderen europäischen Ländern, die ebenfalls nur einen, höchstens zwei herausragende Schiedsrichter im Elitebereich haben. Die einheitliche Perfektion eines gesamten Kaders ist nicht möglich. Jeder muss dauerhaft mit Intensität an sich arbeiten, um einen möglichst hohen Standard zu erreichen und diesen zu halten.

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