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Beim Handspiel geht es drunter unter drüber

Das Thema Handspiel in der Fußball-Bundesliga erhitzt mal wieder die Gemüter: Werder und Union bekommen zweifelhafte Strafstöße zugesprochen, die Hertha geht dagegen leer aus. Das ist nicht nur im Spieltagskontext ein Problem, die klare Linie fehlt, auch bei den Video-Assistenten.

Die Regelhüter vom International Football Association Board (Ifab) haben die Handspielregel in der jüngeren Vergangenheit gleich zweimal modifiziert. Im Regeltext in den Saisons 2019/20 und 2020/21 wurde noch versucht, in teilweise umständlichen und unübersichtlichen Formulierungen beinahe jeden Einzelfall und nahezu jedes Detail zu erfassen, um bei Handspielen besser zwischen „strafbar“ und „nicht strafbar“ unterscheiden zu können. Wichtiger als die Frage der Absicht war nun die – theoretisch besser zu bestimmende – Hand- respektive Armhaltung. Zu mehr Klarheit führte diese Verkleinerung des Ermessensspielraums der Unparteiischen bei der Bewertung trotzdem nicht unbedingt, als fairer und praxisnäher empfanden viele die Neuformulierung und -auslegung ebenfalls nicht.

Fragwürdiger Elfmeter für Werder

Gleichwohl gibt es weiterhin oft Diskussionen über die Bewertung von Handspielen – und darüber, wann eine diesbezügliche Entscheidung so untragbar ist, dass sich der Video-Assistent einschalten muss. Dort, wo ein Graubereich existiert und es damit Interpretationsspielräume gibt, ist es generell nicht einfach, immer eine klare Linie zu verfolgen. Dennoch ist es auffällig und kritikwürdig, wie unterschiedlich die Maßstäbe der Referees bei der Bewertung von Handspielen an diesem sechsten Bundesliga-Spieltag waren. Das begann am Freitagabend in der Partie zwischen Werder Bremen und dem FC Augsburg (0:1), als Schiedsrichter Martin Petersen den Gastgebern in der Nachspielzeit einen Handelfmeter zusprach.

Nach einer Hereingabe in den Strafraum der Gäste hatte der Bremer Marvin Ducksch seinem Gegenspieler Maximilian Bauer den Ball aus kurzer Distanz an den rechten Oberarm geschossen. Der Arm des Augsburgers war zwar ein Stück vom Oberkörper entfernt, aber das war dem normalen und verteidigungstypischen Bewegungsablauf in dieser Situation geschuldet und damit keine unnatürliche Verbreiterung der Körperfläche, um den Ball aufzuhalten oder abzulenken. Absicht konnte man Bauer ebenfalls nicht unterstellen, weil er seinen Arm nicht zum Ball führte. Doch auch nach der Überprüfung der Entscheidung durch VAR Guido Winkmann blieb es beim Elfmeter, den Ducksch schließlich vergab.

Noch zweifelhafterer Strafstoß für Union Berlin

Nicht weniger fragwürdig war der Strafstoß, den der Unparteiische Benjamin Cortus am Sonntagnachmittag in der Begegnung des 1. FC Köln gegen den 1. FC Union Berlin (0:1) nach acht Minuten den Gästen zusprach. Robin Knoche hatte den Ball im Strafraum der Hausherren aus kurzer Distanz an den linken Ellenbogen von Luca Kilian geköpft, wobei der Kölner sich zum einen mit dem Rücken zu Knoche befunden hatte, den Ball also gar nicht sehen konnte. Zum anderen war Kilian in diesem Moment nach einem vergeblichen Sprung zum Ball gerade in der Abwärtsbewegung und hatte seinen Arm so gehalten, wie es für diese Bewegung normal und typisch war. Er hatte sich also nicht auf unnatürliche Weise breiter gemacht und somit auch nicht in Kauf genommen, den Ball mit dem Arm zu berühren.

Dennoch blieb die Entscheidung auch in diesem Fall nach der Überprüfung durch VAR Markus Schmidt bestehen, Jordan Siebatcheu konnte den Elfmeter aber ebenfalls nicht verwandeln. „Der Junge ist mit dem Rücken zum Ball und kriegt diesen an den Oberarm“, kritisierte der Kölner Trainer Steffen Baumgart die Entscheidung des Referees. Nach dem Regelwerk sei „schon auch eine gewisse Absicht“ vonnöten, damit ein Handspiel als strafbar zu bewerten ist, sagte er, um danach zornig anzufügen: „Das wird dann Verarsche. Da muss man mir auch nichts erklären, das ist dann einfach lächerlich.“

Zwei Fragen des Schiedsrichter

Keinen Strafstoß gab es hingegen in der 82. Minute des Spiels Hertha BSC – Bayer 04 Leverkusen (2:2) am Samstag, als der Leverkusener Odilon Kossounou den Ball wenige Meter vor dem eigenen Tor bei einem Schuss von Jean-Paul Boetius aus zentraler Position und kurzer Distanz mit dem rechten Arm ablenkte. Zwei Fragen seien zu beantworten gewesen, sagte der Unparteiische Benjamin Brand nach dem Schlusspfiff im Interview des Senders Sky: „Einmal: War es eine unnatürliche Bewegung des Armes? Und: Ist es Absicht gewesen?“ Beide Fragen könne er auch nach dem Betrachten der Fernsehbilder verneinen, deshalb bleibe er bei seiner Entscheidung. Kossounou habe seinen Arm „in einer normalen Art und Weise“ gehalten. Dass VAR Matthias Jöllenbeck nicht interveniert habe, sei somit richtig gewesen.

Ein ähnlich gelagertes Handspiel war vor Wochenfrist dem Leipziger Willi Orban im Spiel bei Eintracht Frankfurt im eigenen Strafraum unterlaufen, Schiedsrichter Felix Brych hatte wie sein Kollege Brand nicht auf Strafstoß entschieden, der VAR hatte ebenfalls nicht eingegriffen. In beiden Fällen führte der jeweilige Spieler den Arm nicht in die Flugbahn des Balles, beging regeltechnisch betrachtet also kein absichtliches Handspiel. Sowohl Orban als auch Kossounou vergrößerten durch die Armhaltung allerdings ihre Körperfläche – ob sie das auf eine unnatürliche Weise taten oder ob man diese Haltung noch als Folge einer situativ normalen Bewegung bewerten konnte, wie es Brand und Brych taten, darüber lässt sich trefflich streiten.,

Keine klare Linie der Unparteiischen

Kossounous Arm sei „nur durch den Schwung des Balles nach hinten mitgenommen“ worden, sagte Benjamin Brand, und anders als die frontale Perspektive vermittelt die Hintertorkamera tatsächlich diesen Eindruck. Was die Aufregung in Berlin maßgeblich befeuert haben dürfte, war die Tatsache, dass der Leverkusener durch sein Handspiel ein Tor verhinderte. Das aber – auch darauf wies Benjamin Brand hin – spielt keine Rolle bei der Frage, ob ein Handspiel als strafbar zu bewerten ist. Auch wenn es merkwürdig anmuten mag: Ein unabsichtliches Handspiel des Torschützen bei oder unmittelbar vor der Torerzielung führt immer dazu, dass der Treffer annulliert wird. Ein unabsichtliches Handspiel, durch das ein Tor verhindert wird, ist dagegen nicht ahndungswürdig. So sehen es die Regeln vor.

Für Brands Entscheidung lassen sich letztlich zumindest bessere Argumente finden als für die Handelfmeter in Bremen und Köln. Vergleicht man die drei Entscheidungen miteinander, ist allerdings auch klar: Wenn man die Strafstoßpfiffe für Werder und Union zum Maßstab macht – was allerdings keine gute Idee ist -, hätte es für Hertha erst recht einen Elfmeter geben müssen. Hier passten die Regelauslegungen jedenfalls nicht zusammen, eine Linie war nicht erkennbar. Und wenn man einen Blick auf den VAR als Prüfinstanz wirft, lässt sich festhalten: Es wäre besser gewesen, wenn er bei den Strafstößen für Werder und Union ein On-Field-Review empfohlen hätte. Denn diese Entscheidungen als klar und offensichtlich falsch einzustufen, wäre allemal gerechtfertigt gewesen.

Quelle: ntv.de

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