In Mönchengladbach veranlasst der Schiedsrichter die Entfernung eines Spruchbandes, auf dem der Gegner aus Leipzig heftig beleidigt wird. Fans kritisieren ihn dafür, während sowohl die Gladbacher selbst als auch der Schiedsrichter-Lehrwart des DFB das Vorgehen richtig finden. Aus guten Gründen.
Gut zweieinhalb Jahre ist es her, dass es bei mehreren Bundesligaspielen zu längeren Unterbrechungen durch die Schiedsrichter kam, weil in den Fankurven Spruchbänder zu sehen waren, die sich in herabwürdigender Weise gegen Dietmar Hopp richteten, den Mäzen der TSG 1899 Hoffenheim. Da die Unparteiischen seinerzeit angehalten waren, den sogenannten Dreistufenplan – der bei rassistischen und anderweitig diskriminierenden Vorfällen im Stadion umgesetzt werden soll und die Stufen Unterbrechung, Gang in die Kabine und Spielabbruch umfasst – auch in einem solchen Fall anzuwenden, stoppten sie die Fortsetzung der betreffenden Begegnungen so lange, bis die Banner und Transparente entfernt waren.
Das sorgte vor allem in der organisierten Fanszene für viel Kritik, und schließlich präzisierte der DFB seine Anweisungen in einer Handreichung: Die Anwendung dieses Plans sei auch bei personifizierten Gewaltandrohungen möglich, nicht aber bei Beleidigungen, Diffamierungen, Schmähungen oder Verunglimpfungen, die den Tatbestand der Diskriminierung nicht erfüllen. Unter den Beispielen für solche nicht diskriminierenden Äußerungen findet sich, trotz ihres misogynen Charakters, auch die Invektive „Hurensohn“, mit der Hopp im Frühjahr 2020 mehrfach auf Spruchbändern bedacht wurde. Unabhängig vom Dreistufenplan sei aber eine spätere sportrechtliche Ahndung möglich, so der DFB.
Als am Samstagabend das Spiel zwischen Borussia Mönchengladbach und RB Leipzig (3:0) stattfand, nahmen Teile des Anhangs der Gastgeber vor allem die früheren Gladbacher Marco Rose und Max Eberl verbal ins Visier. Rose ist seit kurzem Trainer in Leipzig, Eberl wird dort voraussichtlich neuer Sportdirektor. Beide wurden auf Plakaten und mit Rufen während des Spiels wüst beschimpft und beleidigt. Als dann nach 40 Minuten in der Nordkurve des Borussia-Parks ein großes Transparent mit der Aufschrift „Ein Hurensohnverein stellt nur Hurensöhne ein“ präsentiert wurde, schritt Schiedsrichter Patrick Ittrich ein: Er veranlasste über den Vierten Offiziellen eine Stadiondurchsage, in der die Fans aufgefordert wurden, das Banner zu entfernen. Andernfalls drohe eine Unterbrechung des Spiels.
Kramer findet Ittrichs Vorgehen „komplett richtig“
Die Partie wurde nach der Durchsage fortgesetzt, das Spruchband verschwand kurz darauf. Für „nicht okay“ hielt der Gladbacher Trainer Daniel Farke das Banner, dessen Aussage ohne jeden Zweifel vor allem Eberl und Rose galt. Gar von einer „absoluten Sauerei“ sprach Christoph Kramer, Spieler in Diensten der Borussia. Zwar sei er „als Fußballromantiker auch nicht der größte Fan von RB Leipzig“, aber „Hass hat auf dem Sportplatz, in unserem Verein, in der Welt, in der wir leben, nichts verloren“, sagte er. Ittrichs Vorgehen fand Kramer deshalb „komplett richtig“. Anders sahen es viele Fans, nicht nur Gladbacher, die dem Unparteiischen in den sozialen Netzwerken vorwarfen, die DFB-Richtlinien ignoriert und seine Kompetenzen überschritten zu haben.
Ittrich selbst äußerte gegenüber dem Sender Sky: „Bei Spruchbändern, wo Beleidigungen oder Schmähungen zu sehen sind, da habe ich eine relativ kurze Leine. Ich finde, dieser rechtsfreie Raum, sowohl im Internet als auch im Stadion, muss unterbunden werden, dagegen muss klar vorgegangen werden.“ Es seien „Kinder im Stadion“ und „Menschen, die wollen Fußball sehen“. Den Fußball zu nutzen, um „wirklich beleidigende und schmähende Äußerungen rauszuposaunen – das muss aufhören“, so der 43-Jährige. Gleichzeitig betonte er, der Dreistufenplan müsse eingehalten werden, aber die Mittel müssten auch verhältnismäßig sein.
DFB-Lehrwart Wagner: „Feinfühlig gemacht“
Doch hat Patrick Ittrich überhaupt auf diesen Plan zurückgegriffen? Sein Vorgehen war eher die Vorstufe dazu, wie Lutz Wagner, der Schiedsrichter-Lehrwart des DFB, im Interview des Deutschlandfunks erklärte: „Er hat zuerst einmal verlangt, dass das Banner entfernt wird, und wenn nicht, dann wird er das Spiel unterbrechen.“ Es sei entscheidend, dass die Werkzeuge, die der Unparteiische hat, „mit Augenmaß angewendet werden“, so Wagner. Zu diesen Werkzeugen gehöre nicht nur der Dreistufenplan. Der Referee habe „den Ordnungskräften Gelegenheit gegeben, das Banner zu entfernen“. Das sei auch geschehen. „Damit hat er das Richtige erreicht, und das hat er sehr feinfühlig gemacht.“
Wesentlich seien nicht nur die Buchstaben des Regelwerks und der Anweisungen, sondern „auch ein bisschen der gesunde Menschenverstand“, sagte Wagner weiter. Äußerungen wie auf dem Transparent wolle niemand sehen, „so etwas gehört nicht auf den Platz“. Man könne nicht immer alles mit Emotionen rechtfertigen. Zur Frage, wo die Grenzen zu ziehen seien, führte der frühere Bundesliga-Schiedsrichter aus, das hänge zum Teil auch von den Umständen und der jeweiligen Situation ab, von „der Art und Weise, wie es gebracht wird“, sowie von der Auffassung und dem Ermessen des Schiedsrichters. Das heißt beispielsweise: In einer ohnehin aufgeheizten Atmosphäre können bestimmte Beleidigungen, Herabwürdigungen und Provokationen andere, gravierendere Folgen haben als in einer Partie, die ruhig verläuft.
Auch das Regelwerk ist auf Ittrichs Seite
Patrick Ittrich hat für seine einfühlsame und umsichtige Spielleitung in dieser brisanten und vorbelasteten Partie zu Recht viel Lob bekommen. Seine Maßnahmen zur Deeskalation auf dem Feld griffen sehr gut, durch seine Kommunikation mit den Akteuren nahm er immer wieder die Hektik aus der Begegnung. Dazu passte es dann eben auch, die Entfernung eines Spruchbandes zu veranlassen, das Eskalationspotenzial barg. Übrigens hatte Ittrich dazu ganz ungeachtet des Dreistufenplans – der sich nicht in den Fußballregeln findet, sondern eine ergänzende Anweisung ist – die regeltechnische Handhabe: Das Regelwerk gibt dem Schiedsrichter die Möglichkeit, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, wenn auf verschiedene Art von außen das Spiel beeinträchtigt wird oder zu werden droht. Diese Beeinträchtigung können Pyrotechnik und Wurfgegenstände sein, aber auch beleidigende Banner.
Mit anderen Worten: In den Präzisierungen des DFB zum Dreistufenplan ist zwar festgehalten, dass „Hurensohn“ keine Diskriminierung ist, die eine sofortige Spielunterbrechung als erste Stufe erfordert. Aber das bedeutet nicht, dass diese Beleidigung – wie auch andere Herabwürdigungen von Zuschauerseite – während eines Spiels immer und automatisch ohne Folgen bleibt. Wenn der Referee zu dem Schluss kommt, dass ein Eingreifen erforderlich ist, kann er entsprechend handeln. Vielleicht wäre es darüber hinaus auch eine gute Idee, sich einmal ernsthaft darüber auszutauschen, ob Beleidigungen, die in jedem anderen Kontext rechtliche Folgen hätten, in Fußballstadien weiterhin als harmlose Folklore durchgehen sollen. Patrick Ittrich hat diese Debatte angestoßen.
Quelle: ntv.de. Dies ist die Meinung von Autor Alexander Feuerherdt von „Collinas Erben“.