Im DFB-Pokal-Achtelfinale stand ein echter Kracher zwischen dem FC Bayern München und Meister und Pokalsieger Bayer 04 Leverkusen an. Spannend wird es aber nicht nur sportlich, sondern auch im Vergleich des Platzverweises für Manuel Neuer mit einer Szene aus dem Parallelspiel Werder Bremen gegen Darmstadt 98.
FC Bayern München – Bayer 04 Leverkusen 0:1 (SR: Harm Osmers)
Szene 1: In der 17. Spielminute spielt Bayer Leverkusen aus der eigenen Hälfte einen langen Ball auf Frimpong, welcher von zwei Bayernspielern begleitet wird (Laimer und Upamecano). Bei der Ballannahme mit der Brust wird er hart von Bayerns herauseilenden Torhüter Manuel Neuer ca. 20 Meter vor dem Tor in zentraler Position vor dem Strafraum umgerempelt. Schiedsrichter Harm Osmers zeigt sofort die rote Karte. [TV-Bilder]
Diese Entscheidung ist aus gleich mehreren Gründen absolut nachvollziehbar. Zum einen kann man hier das „Verhindern einer klaren Torchance“ als gegeben ansehen, denn das Tor ist leer, die Distanz zum Tor mit ca. 20 Metern für einen Fußballprofi kein Problem im direkten Abschluss zu überwinden. Upamecano fällt als eingreifender Spieler weg, da er bereits ca. 2 Meter hinter Frimpong her läuft und maximal Konrad Laimer könnte man eine minimale Chance bei einer Direktabnahme einräumen, in das Spielgeschehen noch einzugreifen. Da dieser allerdings auch nur parallel mitläuft, kann man eine erfolgsversprechende Intervention bei einem Schuss direkt auf das Tor als unwahrscheinlich einstufen. Ich sehe hier also das „Verhindern einer klaren Torchance“ als erfüllt an.
Als weiteres feldverweiswürdiges Kriterium kommt aber auch die Definition des Überharten Einsteigens infrage. „‚Übermäßig hart‘ bedeutet, dass ein Spieler im Zweikampf mehr Kraft einsetzt als nötig und/oder die Gesundheit eines Gegners gefährdet“ (Zitat DFB Fußball Regeln 2024/2025 Seite 70, Regel 12). Auch dieses Kriterium sehe ich als erfüllt an. Nicht nur, dass Neuer selbst mit Wucht in einen ihm entgegensprintenden Spieler hineinspringt. Es kommt auch noch in Betracht, dass Frimpong im Moment des Aufschlags voll auf den Ball konzentriert ist und den Einschlag nicht kommen sieht. Er hat keine Körperspannung, der Kopf schleudert wie auf dem Bild zu sehen ist deutlich sichtbar nach vorne. Damit ist die Verletzungsgefahr gerade im Bereich der Halswirbelsäule massiv erhöht und ein Fußballspieler muss diese Gesundheitsgefahr, die von derartigen Zusammenprallen ausgeht, erkennen.
In der Konsequenz ist der FaD (Feldverweis auf Dauer = rote Karte) absolut gerechtfertigt.
SV Werder Bremen – Darmstadt 98 0:1 (SR: Martin Petersen)
Szene 2: Eine vergleichbare Szene ereignete sich im Parallelspiel, als Darmstadt 98 in der 34. Spielminute ebenfalls aus der eigenen Hälfte einen langen Ball nach vorne schlug und Darmstadts Stürmer Isac Lidberg bei der Ballannahme durch eine Grätsche von Bremens Torhüter Michael Zetterer zu Fall gebracht wurde. [TV-Bilder].
Im Gegensatz zu Harm Osmers zeigte Martin Petersen hier allerdings nur die gelbe Karte, der VAR schritt nicht ein. Eine Entscheidung, die für Diskussionen sorgte.
Die Grundlage, auf der sich das Schiedsrichtergespann in dieser Situation für eine Verwarnung und nicht für einen FaD entschieden hat benötigt eine genauere Betrachtung der Spielsituation: Im Gegensatz zur Szene im Bayernspiel kommt Lidberg nicht nur in einer Position ca. auf Höhe der Mitte der Bremer Hälfte (und damit deutlich weiter vom Tor entfernt als in der Situation im Bayern-Spiel) sondern auch seitlich im linken Teil des Spielfeldes (aus Sicht des Angreifers) an den Ball, während zwei Bremer Verteidiger in der Mitte mitlaufen. Das Einsteigen des Bremer Torhüters Zetterer selbst ist hart wobei er Lidberg, der gut sichtbar vor ihm am Ball ist, eher vor die Beine grätscht. Die Schwierigkeit in der Bewertung liegt für den Schiedsrichter nun zum einen erneut darin, ob das Einsteigen an sich bereits eine Gesundheitsgefährdung darstellt (Trefferbild spricht hier eher dagegen; vor den Beinen und nicht auf Schienbein oder Sprunggelenk mit offener Sohle) und ob alternativ das Verhindern einer klaren Torchance in Frage kommt (umgangssprachlich „letzter Mann“). Gegen diese Auslegung sprechen, dass zwei Verteidiger in der Mitte mitgelaufen sind und das Spiel sich eher im linken Feld, ca. 45 Meter vom Tor entfernt befindet. Ein unmittelbarer und direkter Torabschluss selbst aufs leere Tor aus vollem Lauf ist mit zunehmender Distanz, zudem aus spitzerem Winkel unter Umständen nicht mehr mit Sicherheit gegeben, die Rolle der Feldspieler fraglich. Zu viele Fragezeichen, die Martin Petersen für eine Bewertung bezüglich „Verhinderns einer klaren Torchance“ wohl nicht eindeutig genug bewerten konnte und sich damit für eine Verwarnung für „Verhindern eines aussichtsreichen Angriffs“ entschied.
Hier befinden wir uns in einer Grauzone, denn je nach persönlicher Wahrnehmung fällt insbesondere die Bewertungen für die Notbremse (Verhindern einer klaren Torchance) unterschiedlich aus. Jedoch kann ich auch hier die Entscheidung gut nachvollziehen. Bei einem FaD darf der Schiedsrichter aufgrund des potentiell spielentscheidenden Charakters definitiv keine Zweifel an der Grundlage seiner Entscheidung haben. Damit handelt es sich auch nicht um eine klare Fehlentscheidung, der VAR kann also auch nicht eingreifen. Hätte sich die Spielsituation näher am Strafraum abgespielt oder wäre das allgemeine Spielgeschehen nicht zur Seite verlagert sondern hätte weiter in der Mitte stattgefunden (laut Regelwerk muss auch die Richtung des Spiels bei einer Entscheidung immer mit einbezogen werden), wäre auch hier mit großer Sicherheit eine rote Karte zu erwarten gewesen.
Szene 3: In der 75. Spielminute ereignet sich dann noch eine weitere strittige Szene und wie so oft geht es um ein potentiell strafbares Handspiel im Strafraum. Werder Bremens Njinmah tritt von der rechten Spielfeldseite den Ball in den Strafraum, die Flanke wird per Kopf direkt von Marvin Ducksch halbhoch aufs Tor gebracht. Dabei touchiert der Ball aus kürzester Distanz den ausgestreckten Arm des Darmstädter Verteidigers Vukotic. Martin Petersen entscheidet sich gegen ein strafbares Handspiel und die Konsequenz eines Strafstoßes für Werder Bremen [TV-Bilder].
Im Gegensatz zum Unparteiischen auf dem Feld tendiere ich hier jedoch deutlich mehr in Richtung strafbares Handspiel und hätte den Strafstoß gegeben. Ausschlaggebend für mich wäre hier die unnatürliche Vergrößerung der Körperoberfläche, welche laut Regelwerk strafbar wird, wenn der Spieler „… den Ball mit der Hand/dem Arm berührt und seinen Körper dabei aufgrund der Hand-/Armhaltung unnatürlich vergrößert. Eine unnatürliche Vergrößerung des Körpers liegt vor, wenn die Hand-/Armhaltung weder die Folge einer natürlichen Körperbewegung des Spielers in der jeweiligen Situation ist noch mit dieser Körperbewegung gerechtfertigt werden kann. Mit einer solchen Hand-/Armhaltung geht der Spieler das Risiko ein, dass der Ball an seine Hand/seinen Arm springt und er dafür bestraft wird“ (Zitat DFB Fußball Regeln 2024/2025 Seite 71, Regel 12). Zwar kann man entlastend anbringen, dass es sich aufgrund der allgemeinen Bewegung des Verteidigers hier um eine Armhaltung in Folge einer Körperbewegung gehandelt haben könnte, sowie dass er den Ball aus ca. 1,5 Metern und damit relativ kurzer Distanz abbekommen hat. Jedoch soll mit der entsprechenden Klausel ausgeschlossen werden, dass sich Spieler z.B. im Fallen reflexartig abstützen (zum Vermeiden einer Verletzung) und eine Strafbarkeit befürchten müssen, wenn sie den Ball an den abstützenden Arm bekommen. Ansonsten trägt jeder Spieler Sorge dafür, wie er sich über den Platz bewegt und damit fallen auch Armhaltungen zur reinen Balance erst einmal in das „Risiko bestraft zu werden“, welches der Spieler mit einer solchen Haltung eingeht. Vergleichbar sind hier Handspielentscheidungen, bei denen Spieler den Ball an die Hand bekommen haben, als sie zum Sprung ansetzen und dafür die Hände zum Schwung holen nach oben ziehen. Handspiele dieser Kategorie wurden also durchaus mit einem Strafstoß bestraft. Ebenfalls dagegen spricht, dass der Arm erst unmittelbar vor dem Kopfball ausgefahren wird.
Arminia Bielefeld – FC Freiburg 3:1 (SR: Frank Willenborg)
Szene 4: In der 15. Spielminute kommt es zu einem Foul im Strafraum der Bielefelder. Die Arminia versucht den Ball hinten rum über den eigenen Strafraum zu spielen, wird dabei von den Stürmern des SC Freiburg allerdings deutlich unter Druck gesetzt. Großer wird dabei leicht von hinten geschubst, verliert in der Folge aber nicht nur den Ball, sondern legt im direkten Anschluss auch noch Freiburgs dazwischen schießenden Stürmer Gregoritsch. Das Foul an sich ist unstrittig. Fraglich ist, ob der leichte Schubser im Vorfeld von Höler an Großer als Foul zu ahnden gewesen wäre. Hier gehe ich aber eindeutig mit Frank Willenborg, zu wenig für eine Entscheidung auf Offensivfoul. Und obwohl Großer dadurch etwas aus dem Tritt gebracht wird, trotzdem gar keine Rechtfertigung für das anschließende Foul. [TV-Bilder].
Szene 5: In der 35. Spielminute schaltet sich dann der VAR ein, nachdem Gregoritsch im eigenen Strafraum durch einen Schuss von Schreck getroffen wird. Der Freiburger springt in blockender Absicht in den Ball und nimmt dabei die Arme mit, bekommt diesen jedoch genau in die Achselhöhle und damit auch an den deutlich abgespreizten Oberarm [TV-Bilder].
Schiedsrichter Willenborg entscheidet nach Sichtung der Bilder auf Strafstoß. Diese Entscheidung ist meiner Ansicht nach korrekt. Absicht muss man hier zwar keine unterstellen. Wie bereits angesprochen trägt der Spieler aber Verantwortung für die Art und Weise, wie er sich auf dem Spielfeld bewegt und wie er in einen Zweikampf geht. Er unterliegt daher einem Risiko, wenn er bei einer bewussten Verteidigungsaktion die Körperfläche mit den Armen vergrößert (hier ein Sprung mit Schwungholen der Arme). Der Oberarm ist Teil des für die Handspielregel relevanten Bereichs (DFB Regeln 2024/2025 Grafik Seite 72, Regel 12) und die blockende Wirkung tritt auch erst maßgeblich durch eben diesen abgespreizten Oberarm ein.
Quelle: ig-schiedsrichter.de/ak
Sehr gut geschrieben. Verständlich für den Laien.