Neben dem großen Aufreger rund um Schiedsrichter Deniz Aytekin im Topspiel zwischen dem BVB und den Bayern kam es im Freitagsspiel in Hoffenheim kurz vor Schluss zu einer ganz kniffligen und spielentscheidenden Situation. In Mainz prüften die Gäste außerdem die Regelsicherheit rund ums Thema Abseits vom Gespann rund um Schiedsrichter Felix Brych ab.
Borussia Dortmund – FC Bayern München 2:2 (SR: Deniz Aytekin)
Kurz vor der Pause stand Schiedsrichter Aytekin im Fokus, als der bereits verwarnte Dortmunder Jude Bellingham den Münchner Alphonso Davies mit dem Fuß im Gesicht traf. Der Nürnberger Spitzenschiedsrichter beließ es beim einem Foulpfiff, Bellingham durfte weiterspielen.
Aber was war eigentlich genau passiert?
Der BVB-Spieler schoss den Ball im Zweikampf mit Davies mit dem rechten Fuß zu weit nach oben, sodass der Münchner mit dem Kopf schneller am Ball war und diesem wegköpfte. Einen kurzen Moment später trifft Bellingham den Bayern-Spieler mit seiner rechten Fußspitze im Gesicht, knapp oberhalb des rechten Auges. Die Aufregung danach war groß, Davies musste lange behandelt werden und konnte nicht weiterspielen. Sein Tag endete mit Verdacht auf Gehirnerschütterung im Krankenhaus. Am Sonntag kam dann die Diagnose, dass sich der Kanadier eine Schädelprellung zugezogen hat.
Wie ist die Entscheidung von Aytekin einzuordnen?
Unabhängig von der ersten gelben Karte für Bellingham (die auch sicher nicht falsch war), liegt hier ein rücksichtsloses Vergehen vor, welches nach Regel 12 mit einem direkten Freistoß für die Bayern und einer Verwarnung zu ahnden ist. Folglich hätten die Dortmunder in der 45. Minute ihren Spitzenspieler verloren und fortan mit nur zehn Mann weiterspielen müssen. Aytekin zeigte hier zwar laut dem DFB „Empathie“, was aber sachlich betrachtet ein schwaches Argument darstellt. Bellingham trifft Davies hier in einer Höhe, in der ganz klar er das gefährliche Spiel eingeht. Davies ist zwar leicht mit dem Kopf weiter unten, jedoch weit über der Grenze (etwa Beckenhöhe), ab der der Stürmer das Risiko einer Eigenverletzung eingeht und daher für das „gefährliche Spiel“ bestraft werden würde (dann mit einem indirekten Freistoß). Dazu spielt Davies schlichtweg den Ball, während Bellingham nur seinen Gegenspieler erwischt. Somit ist klar, dass es sich hier mal grundsätzlich um ein Foulspiel des Dortmunder Spielers handeln muss und das die Bewegung von Davies mit dem Kopf zum Ball kein „gefährliches Spiel“ von seiner Seite aus darstellt.
Aber ist das Foul wirklich zwingend als rücksichtslos einzuordnen?
Für mich JA! Entscheidend ist hier der Treffer in dieser Höhe mit der Intensität im Gesicht. Die Forderung „Rot“ von Bayern-Trainer Julian Nagelsmann nach der Partie war sicherlich überzogen, denn Bellingham trifft seinen Gegenspieler „nur“ mit der Fußspitze. Dazu ist der Ball grundsätzlich in spielbarer Nähe. Dennoch kommt Schiedsrichter Aytekin abseits des schwammigen Arguments der „Empathie“ hier für mich eben aus den genannten Gründen um Gelb nicht drum herum. Auch zur davor gewählten Linie im Hinblick auf die Zweikampfbewertung und Vergabe von persönlichen Strafen hätte hier eine weitere gelbe Karte deutlich besser gepasst als nur der Foulpfiff. Ein Eingriff des Videoassistenten war hier laut IFAB-Protokoll grundsätzlich nicht möglich, da keiner der vier Eingriffsgründe gegeben ist (Tor, Strafstoß, rote Karte, Spielerverwechslung). [TV-Bilder – ab Minute 1:40]
TSG Hoffenheim – SV Werder Bremen 1:2 (SR: Benjamin Cortus)
In der 83. Minute hatte Schiedsrichter Benjamin Cortus in Hoffenheim eine ganz schwere Entscheidung zu fällen, als der Bremer Offensivspieler Weiser über die rechte Seite in den Strafraum der Gastgeber eindrang und vom TSG-Verteidiger Nsoki am linken Fuß in der Luft getroffen wurde. Danach macht Weiser aber noch zwei Schritte, bevor er mit dem rechten Fuß zuletzt den Boden berührt und zu Fall kommt. Ein ganz schwer zu bewertender Zweikampf. Cortus ließ auf dem Feld zunächst weiterspielen und verweigerte wohl aufgrund des Fallmusters von Weiser den Strafstoß. Grundsätzlich mal nachvollziehbar, da die DFB-Schiedsrichter in der Bundesliga mit VAR auch dazu angehalten sind, keine Strafstöße zu geben, bei denen sie sich unsicher sind. Denn sollte so tatsächlich mal ein Strafstoß durch die Lappen gehen, kann ja noch der Videoassistent sich melden. Das war am Freitag im VAC Dr. Martin Thomsen mit Thomas Stein. Die beiden meldeten sich auch bei Cortus und baten ihn zum Review an den Bildschirm.
Dort dauerte es mehrere Minuten bis Cortus kurz vom Monitor weggeht, nochmal kurz draufschaut und dann auf Elfmeter für Bremen entscheidet. Füllkrug trat an und verwandelte zum 2:1-Siegtreffer für Werder. Der ganze Ablauf zeigt schon recht gut, welche Komplexität in diesem Zweikampf steckt. Und mal ganz ehrlich: Bei so einem Zweikampf wird sich eine Seite im Nachhinein immer benachteiligt fühlen. Für einen Strafstoß spricht hier, dass Nsoki ohne Ballkontakt reingrätscht und sein Bein extra noch anhebt, um Weiser zu treffen.
Aber war dieser Kontakt wirklich ursächlich dafür, dass Weiser zu Fall kam oder ist er zwei Schritte später mit dem rechten Fuß abgesprungen, weil er den Kontakt spürte und einen Elfmeter „schinden“ wollte?
Da wir alle nicht in die Köpfe der Spieler schauen können, lässt sich eine Antwort auf diese Frage nur erahnen. Für ein natürliches Fallen spricht, dass der Kontakt in der Luft am linken Fuß ihn insgesamt aus dem Tritt gebracht haben könnte. Gegen diese Theorie spricht aber für mich die Tatsache, dass er mit dem rechten Bein später verdächtig abspringt.
Beim genaueren Betrachten der Bilder viel mir eine vergleichbare Szene in der Partie Hertha BSC gegen Frankfurt ein, als Frank Willenborg kurz vor Schluss einen Strafstoß für die Frankfurter nach langem Review zurücknahm, weil das Fallmuster nicht zum Kontakt passte. Hier scheint am Ende wegen eines Reviews die gegensätzliche Entscheidung getroffen worden zu sein. Klar sind beide Szenen nicht ganz identisch, eine konkrete Ähnlichkeit besteht aber schon.
Ist Schiedsrichter Cortus hier also am Ende eine Fehlentscheidung zu unterstellen?
Ich finde nicht. Denn hier liegen beide Entscheidungen im Ermessensspielraum, für Strafstoß und Weiterspielen gibt es Argumente. Müsste ich mich entscheiden, würde ich eher keinen Strafstoß aufgrund des seltsamen Fallmusters geben. Am Ende ist aber auch der Pfiff und Strafstoß nachvollziehbar, da der Kontakt besteht. Das Review dauerte halt deutlich zu lange und wenn ich die deutlichen Unsicherheiten von Cortus während des Reviews betrachte, wirkt es nicht so, als hätte man ihm mit dem Gang zum Bildschirm einen Gefallen getan. Die Überprüfung dauerte aus Sicht der Fans natürlich viel zu lange. Der DFB sollte hier nur schauen, dass bei vergleichbaren Szenen besonders mit VA-Reviews nicht gegensätzliche Entscheidungen getroffen werden. Dies ist allerdings leichter geschrieben als umgesetzt. [TV-Bilder – ab Minute 3:47]
1. FSV Mainz 05 – RB Leipzig 1:1 (SR: Dr. Felix Brych)
In der 54. Minute landete ein Freistoß aus dem Halbfeld am langen Pfosten beim Leipziger Diallo, der den Ball über die Linie drückte. Doch die Fahne vom Assistenten Mark Borsch ging direkt hoch. Schiedsrichter Brych entschied auf Abseits und gab den Treffer zurecht nicht. Denn nicht der eigentliche Torschütze Diallo, sondern sein Mitspieler Orban stand strafbar im Abseits. Dabei geht der RB-Spieler deutlich zum Ball, springt hoch und verwirrt so die Mainzer Defensive. [TV-Bilder – ab Minute 5:43]
Fazit: Bis auf die womöglich spielentscheidende fehlende gelb-rote Karte für den Dortmunder Bellingham war es ein gutes Wochenende für die DFB-Schiedsrichter in der Bundesliga. Aytekin wird sich trotz einer grundsätzlich soliden Leistung im Topspiel eingestehen müssen, dass deutlich mehr für eine Verwarnung, als dagegen spricht.