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Aktiv oder Passiv – Gelb oder Rot – Die Analyse der DFB-Schiedsrichter Zeitung

In der ersten Ausgabe der DFB-Schiedsrichter-Zeitung im Jahr 2021 beschäftigen sich dieses Mal die Autoren David Bittner und Rainer Werthmann mit vier kniffligen Abseitssituationen aus der 1. und 2. Bundesliga, sowie der 3. Liga und gehen im Anschluss auf die korrekte Bewertung von Fußvergehen anhand von vier Szenen aus der 2. Bundesliga ein. Wir haben diese zusammengefasst.

Von: Simon Schmidt (red/ss)

Karlsruher SC – SV Sandhausen 3:0 (SR: Frank Willenborg)

In der Szene vom 4. Spieltag aus der 2. Bundesliga geht es um einen weiten Ball aus der eigenen Hälfte zum Karlsruher Angreifer Hofmann. Die Flanke landet aber nicht direkt beim Angreifer, sondern zunächst beim Sandhauser Verteidiger Kister, der unbedrängt mit dem Kopf zum Ball gehen kann. Diesen trifft er aber so unglücklich, dass der Ball zu Hofmann geht und dieser mit einem Mitspieler das 3:0 für den KSC erzielt. Der Assistent hebt im Anschluss die Fahne, doch das ist falsch. Der Verteidiger spielt hier absichtlich den Ball und wird auch nicht vom Angreifer bedrängt. Somit befindet sich dieser bis zum Zeitpunkt des neuen Kontakts durch Kister in einer nicht strafbaren, passiven Abseitsstellung. Sobald der Ball durch den Verteidiger gespielt wurde, entsteht eine neue Spielsituation. In diesem Fall verpasste es VAR Dr. Martin Thomsen einzugreifen, sodass der Treffer trotz der Überprüfung nicht zählte. [TV-Bilder]

FC Bayern München II – FC Kaiserslautern 0:0 (SR: Lars Erbst)

Eine ähnliche Szene ereignet sich in der Drittligapartie zwischen der zweiten Mannschaft der Bayern und Kaiserslautern. Hier befindet sich der Angreifer der Gäste bewusst in einer deutlichen Abseitsstellung und wartet dort erstmal ohne einen Verteidiger zu attackieren. Als der Ball nun von einem Verteidiger der Bayern unglücklich zu ihm gelangt, ist der Angreifer mit dem Spielgerät auf dem Weg zum Münchner Tor. Die Fahne des Assistenten geht sofort hoch, Schiedsrichter Lars Erbst reagiert aber super, indem er die neue Spielsituation sofort erkennt und weiterlaufen lässt. Hier muss zwischen einer klaren Aktion durch den Angreifer zum Ball oder Gegenspieler („obvious action„) oder einem Warten auf ein „bad play“ unterschieden werden. [TV-Bilder]

Borussia Dortmund – FC Schalke 04 3:0 (SR: Felix Zwayer)

In der dritten Szene aus dem Revierderby am 5. Spieltag der laufenden Bundesligasaison geht es um die sogenannte Sichtbehinderung des Torwarts durch einen im Abseits stehenden Angreifer. Hier ist wichtig, dass auf die wirkliche Sichtlinie („line of vision„) und nicht auf das reine Sichtfeld des Keepers geachtet wird. Der Unterschied zwischen beidem wird anhand dieser Szene deutlich: nach einem Eckball köpft Hummels auf das Schalker Tor von Schlussmann Rönnow. Vor ihm im Abseits befindet sich der Dortmunder Spieler Delany. Dieser steht aber nur in seinem Sichtfeld leicht seitlich und nicht in seiner Sichtlinie zu Hummels. Somit liegt keine Sichtbehinderung vor. Auch der Schalker Verteidiger wird hier nicht „im Kampf um den Ball“ durch Delany behindert. Somit ist weiterspielen hier die richtige Entscheidung. [TV-Bilder]

FC Ingolstadt – Dynamo Dresden 1:0 (SR: Dr. Martin Thomsen)

In dieser Szene geht es um einen regeltechnischen Spezialfall. Nach einer Flanke in den Strafraum gerät der Ingolstädter Angreifer Kaya mit zwei Dresdner Verteidigern hinter die Torlinie außerhalb des Spielfelds. Der Ingolstädter Angreifer Kutschke bringt den Ball nun auf das Tor, der Keeper kann den Ball zunächst abwehren. Nach der Parade geht der Ball allerdings zu Kaya, der am schnellsten wieder auf dem Platz ist und einköpft. Das Schiedsrichtergespann entschied hier sofort auf Abseits. Auch viele Zuschauer waren sich da sicher. Hier liegt kann allerdings gar keine Abseitsstellung vorliegen! Zwei Dresdner Verteidiger befinden sich hinter der Torauslinie, damit zählen sie laut Regel 11 als „auf der Torlinie stehend“. Ein absoluter Sonderfall, der allerdings Schiedsrichter unbedingt bewusst sein sollte. Hier wurde leider ein reguläres Tor aberkannt. [TV-Bilder]

Karlsruher SC – SV Darmstadt 98 3:4 (SR: Arne Aarnik)

In der ersten Szene zu einem Fußvergehen geht es um einen Treffer am Kopf. Dieser ereignet sich am 6. Spieltag der laufenden Zweitligasaison in der Partie Karlsruher SV gegen den SV Darmstadt 98. Nach einem Eckball kommt der Ball zum KSC Stürmer Hofmmann, der köpfen will. Dabei wird er vom Darmstädter Verteidiger Rapp mit dem Fuß am Kopf getroffen. In jedem Fall ist das ein Foulspiel (richtige Spielfortsetzung hier Strafstoß) und in jedem Fall muss eine persönliche Strafe folgen. Doch ist der Treffer in diesem Fall „nur“ rücksichtslos oder brutal? Zu bewerten gilt es hier laut den Autoren: die Dynamik der Spielsituation, die Intensität des Treffers, die Art und Weise des Treffers (offene Sohle?) und die Intention des Spielers im Zweikampf. Bei dieser Szene ist die Intention den Ball zu spielen, die Dynamik und Intensität nicht besonders hoch. Somit ist hier Gelb noch vertretbar. [TV-Bilder]

SV Sandhausen – SC Paderborn 1:1 (SR: Benjamin Cortus)

Anders sieht es bei der folgen Situation aus. Im Spiel am 5. Spieltag wird der Paderborner Stürmer Ingelsson auf der linken Seite von seinem Gegenspieler Schirow rüde mit einem Tritt in den Rücken zu Fall gebracht. Der Schiedsrichter spricht hier Gelb aus, eindeutig zu wenig. Hier muss eine rote Karte folgen! Ingelsson wird bei hohem Tempo stark mit offener Sohle am Rücken getroffen. Der Angriff des Sandhausener Verteidigers richtet sich auf den Mann. Hier liegt eine klare Gesundheitsgefahr durch das Foul vor! [TV-Bilder]

Holstein Kiel – SpVgg Greuther Fürth 1:3 (SR: Timo Gerach)

Auch in dieser Partie am 5. Spieltag der 2. Bundesliga gab es ein schweres Fußvergehen am Kopf. Der Fürther Spieler Mavraj will mit dem Kopf zum Ball gehen, als er vom Kieler Reese mit der offenen Sohle am Kopf getroffen wird. Ein Musterbeispiel für ein brutales Foulspiel. Alle Kriterien für einen Platzverweis sind erfüllt (Treffer mit offener Sohle am Kopf, hohe Intensität, hohe Dynamik der Spielsituation, Einsatz richtet sich gegen den Körper, Gesundheitsgefährdung). [TV-Bilder]

VfL Bochum – Erzgebirge Aue 2:0 (SR: Nicolas Winter)

Ebenfalls am 5. Spieltag ereignet sich das folgende Foul in der Partie Bochum gegen Aue: nach einem zunächst regelkonformen Zweikampf zwischen dem Bochumer Novothny und dem Auer Rizzuto geht der Ball zu einem weiteren Bochumer Mitspieler, der den Ball weiterführt. Währenddessen wird Novothny, der gerade wieder aufgestanden ist, vom noch am Boden liegenden Rizzuto einfach umgetreten. Nicolas Winter bewerte die Situation schnell korrekt und sprach die rote Karte gegen den Auer aus. In dieser Szene handelt es sich nicht um ein reines Fußvergehen oder ein brutales Foulspiel, sondern um eine Tätlichkeit! Somit ist der Platzverweis für Rizzuto die einzig richtige Entscheidung. [TV-Bilder]

Fazit: Sowohl bei schwierigen Abseitsentscheidung als auch bei harten Fußvergehen ist es wichtig, dass Schiedsrichter (SR) und Schiedsrichterassistenten (SRA) gut zusammenarbeiten. Bei der Frage: Spielt der Verteidiger den Ball wirklich absichtlich, ist der SR meistens von seiner Position aus im Vorteil, der Assistent bewertet die reine Abseitsstellung besser. Im Zusammenspiel muss es gelingen, dass klar kommuniziert wird, sodass im Optimalfall die Fahne des SRAs gleich unten bleibt. Sollte sie (zu) schnell hochgehen, muss der SR schnell reagieren und Weiterspielen anzeigen. Bei Fußvergehen ist es oftmals nicht einfach abzuwägen wie hoch die Intensität und Dynamik der Spielsituation war und wo der Spieler wie getroffen wurde. Auch hier können verschiedene Blickwinkel hilfreich für die korrekte Entscheidung sein.

Foto: dpa/Armin Weigel

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