Nach der WM-Vorrunde möchte ich eine Zwischenbilanz ziehen – über lange Nachspielzeiten, falsche VAR-Entscheidungen, die erste Frau an der Pfeife und die Finalkanditaten.
Wie ist die WM aus Schiedsrichtersicht gelaufen?
Wenn ich es in Schulnoten ausdrücken würde, liegen die Gesamtleistungen zwischen befriedigend und ausreichend. Das ist aber auch völlig normal, denn bei einer Vorrunde nehmen Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter aus allen Herren Ländern -teilweise zum ersten Mal teil- die noch nie mit VAR gearbeitet haben. Aus diesem Grund gab es teilweise Abstimmungsprobleme, wo mal zu viel oder zu wenig interveniert wurde. Wenn es in den Ausscheidungsrunden feste Teams gibt, erwarte ich eine deutliche Qualitätssteigung. Erwartungsgemäß konnten aber die erfahrenen europäischen Teams wie Danny Makkelie, Antonio Mateu Lahosz oder auch Daniel Siebert überzeugen.
Warum sind trotz VAR so krasse Fehler wie das aberkannte Tor von Ronaldo, der strittige Elfmeter gegen Ghana oder der Strafstoß für Kanada nach Foul des Belgiers Axel Witsel passiert?
Bei der Witsel-Entscheidung gibt es eine nachvollziehbare Argumentation gegen den Strafstoß, da es eine Bewegung in den Laufweg gab. Falsch hingegen waren die beiden Entscheidungen. Aber auch das geahndete Handspiel bei Portugal gegen Uruguay war klar falsch. Aber wie gesagt, in der WM-Runde werden solche Fehler vermehrt weniger. Da hoffe ich auf Besserung.
Sind die Erfolgsaussichten von Frankreich nach VAR-Intervention nach Anstoß erfolgsversprechend?
Das wird sehr spannend, wie sich da die FIFA positioniert. Die Regel sagt klar, dass nach einer Spielfortsetzung eine Änderung nicht mehr möglich ist. Allerdings könnte man auch den Fall hineinkonstruieren das der Schiedsrichter abgepfiffen hat. Dann ist es so, dass solange der Schiedsrichter sich noch auf dem Platz ist, er jederzeit persönliche Strafen oder es auch Änderungen am Spielergebnis mittels Videobeweis möglich ist. Für mich wurde aber der Anstoß bereits ausgeführt. Wenn das so der Fall ist, war die VAR-Intervention nicht korrekt, da bereits eine Spielfortsetzung vorlag. Sehr schnell kamen dann aber noch weitere Pfiffe des Referees hinzu, die wohl eine Verlängerung der Unterbrechung bedeuten sollten. Da wird es auf die Bewertung des Schiedsrichterteams ankommen. Lesen sie weiter.
Das WM-Debüt von Daniel Siebert?
Ein Klasseeinstand vom gesamten Team. Das zweite WM-Spiel zwischen Ghana -Uruguay lässt die Hoffnungen aufleben, dass es bei der Weltmeisterschaft für das zweite deutsche Team noch sehr weit gehen kann.
Das historische WM-Spiel von Stéphanie Frappart hat lange gedauert?
In der Vergangenheit gab es ja nicht allzuviele Schiedsrichterinnen, die auf absoluten TOP-Niveau Spiele leiteten. Natürlich muss jeder vor einem Einsatz bei einer Fußball-Weltmeisterschaft auch Erfahrungen bei Länderspielen oder der Champions League gesammelt haben. Wenn die FIFA gewollt hätte, wäre dies schon sehr früher möglich gewesen.
Sind die langen Nachspielzeiten sinnvoll?
Die Regeln geben diese WM-Neuerung schon seit Jahren her, sie wurde bis dato lediglich noch nicht so konsequent umgesetzt. Das führte dann zu einigen kritischen Stimmen dagegen. Wenn man aber schon 7:0 führt, muss man nicht noch so lange drauf packen. Das ist nicht im Sinne des Fußballs und der Fans. Wenn es aber, um offensichtliche Spielverzögerungen geht, wenn in der Nachspielzeit noch mehrere Spieler eingewechselt werden, dann erbitte ich mir auch eine lange Nachspielzeit. Das sollte in der Bundesliga jetzt zu einer Art Lerneffekt einsetzen, dass sich die Zeitschinderei nicht mehr lohnt.
VAR-Grafik auf den Anzeigetafeln?
Hier hat man prinzipiell die Technik sinnvoll eingebunden, was zu Transparenz führt, allerdings darf das nicht acht, zehn und mehr Minuten dauern, bis so einer Aufklärungshilfe den Zuschauern präsentiert wird.
Wer sind die WM-Final-Favoriten?
Zum jetzigen Zeitpunkt für mich so ziemlich klar Danny Makkelie oder Antonio Mateu Lahosz, je nachdem ob die Niederlande oder Spanien bis mindestens in Halbfinale einziehen. Stehen dort beide europäischen Teams, wird Daniel Siebert das Finale pfeifen 😜 (Ironie aus). Dann hätte auch Daniele Orsato als Dritter im Bunde noch realistische Finalchancen.
Tragische Duplizität der Ereignisse. Nun ist Daniel Siebert mit dem VAR Bastian Dankert haargenau das Gleiche passiert, wie 2018 Felix Brych mit VAR Felix Zwayer. In beiden Fällen war ein nicht gegebener Strafstoß der Knackpunkt. Bitter für Siebert, der eine gute Leistung in seinen beiden Spielen bewiesen hat. Hinzu kommt, dass sein Gespann nach dem Spiel auch noch tätlichen Angriffen ausgesetzt war. Da hat die Organisation des ohnehin seltsamen Fifa-Präsidenten Infantino, mit dem Schutz des Gespanns beim Abgang vom Spielfeld total versagt. Für mich ist sicher, dass die WM für Siebert beendet ist. Bleibt die Frage, warum hat das deutsche Zusammenwirken SR-VAR nicht funktioniert? Sowohl Brych als auch Siebert hätten die einmalige Chance gehabt, durch das deutsche Ausscheiden in der Vorrunde möglicherweise bis ins Finale kommen zu können. Müssen die verantwortlichen Herren der Fifa-Schiedsrichterkommission Collina und Busacca alles allein von einer Elfmeterentscheidung im Spiel abhängig machen. Das ist sehr bitter für die deutschen Schiedsrichter.
Ich wundere mich nicht, dass neben Manuel Gräfe auch Babak Rafati bei der Elfmetersituation ins gleiche Horn stößt. So ist das mit den allgemeinen Rundumschlägen unzufriedener Ex-Schiedsrichter. Da lobe ich die praxisbezogene Stellungnahme eines aktiven Patrick Ittrich. Zu Gräfe habe ich an anderer Stelle bereits genug gesagt. Rafati sollte sich mal an den 4. November 2006 erinnern. Da hat er im Spiel Werder Bremen gegen Energie Cottbus (Endstand 1:1) den Gästen in der 89. Minute einen unzweifelhaften Elfmeter (auch von Bremer Seite bestätigt) versagt. Er hat gekniffen, um nicht kurz vor Schluss möglicherweise das Ergebnis zu beeinflussen.