Im Bundesliga-Spitzenspiel zwischen den Bayern und Borussia Dortmund ist der Schiedsrichter kein Thema – weil er souverän amtiert und auch das nötige Spielglück hat. Im rheinischen Derby in Köln wäre derweil ein Elfmeter angebracht gewesen. In Frankfurt folgt der Referee der gültigen Regelauslegung.
Von: Alex Feuerherdt; Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Alex Feuerherdt sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen.
Dass die Spiele zwischen dem FC Bayern München und Borussia Dortmund auch für die Unparteiischen seit Jahren eine besondere Herausforderung sind, liegt auf der Hand. Umso mehr, wenn sich die Voraussetzungen so darstellen wie am Samstagabend: Der BVB kam an diesem 26. Spieltag als Tabellenführer zum Rekord- und Serienmeister, der gerade so überraschend wie geräuschvoll einen Trainerwechsel vollzogen hatte und mächtig unter Druck stand. Logisch deshalb, dass die sportliche Leitung der Bundesliga-Schiedsrichter einen der besten und erfahrensten Referees nach München entsandte, nämlich Marco Fritz.
Der 45-Jährige leitete diese Partie bereits zum fünften Mal, vor allem aber war es für ihn das dritte brisante Spiel an den vergangenen fünf Spieltagen. Am 22. Spieltag pfiff er schon einmal die Bayern, nämlich in deren Begegnung gegen den 1. FC Union Berlin (3:0), auch seinerzeit lautete die Konstellation: Erster gegen Zweiter. Am 24. Spieltag beaufsichtigte Fritz das stets emotionale Revierduell zwischen dem FC Schalke 04 und dem BVB (2:2) – und nun eben das Aufeinandertreffen zwischen den Bayern und den Schwarz-Gelben. Das zeigt das besondere Vertrauen, das der Unparteiische aus Korb im baden-württembergischen Rems-Murr-Kreis genießt.
Wie schon in den vorangegangenen beiden Spitzenspielen zeigte Marco Fritz eine souveräne Vorstellung mit einer klaren und angemessen großzügigen Linie bei der Zweikampfbewertung, großer Sicherheit im Auftreten und jederzeitiger Akzeptanz bei allen Beteiligten. Dabei hatte er auch das nötige Spielglück auf seiner Seite: Der eindeutige Spielverlauf und die Tatsache, dass es kaum kontroversen Situationen zu bewerten gab, erleichterten dem Schiedsrichter die Aufgabe. Es gab keine schwierig zu beurteilende Strafraumszene, kein feldverweiswürdiges Foulspiel und keine strittige Torerzielung – zumindest nicht, solange das Spiel noch nicht entschieden war.
Erst kurz vor Schluss kam es beim Stand von 4:1 zu einer Szene, die bei einem knapperen Spielstand das Potenzial gehabt hätte, für hitzige Diskussionen zu sorgen: Bei Donyell Malens erfolgreichem Torschuss zum 2:4 aus Dortmunder Sicht befand sich Youssoufa Moukoko klar im Abseits, er unternahm einen kurzen Schritt in Richtung des Balles, brach die Bewegung aber sogleich wieder ab. Es gab hier durchaus Argumente für die Auffassung, dass der Angreifer des BVB auf diese Weise die Möglichkeit des Münchner Torhüters Yann Sommer, den Ball zu spielen, beeinflusst hatte. Dann wäre Moukokos Abseitsstellung strafbar gewesen, und der Treffer hätte nicht zählen dürfen.
Marco Fritz gab das Tor jedoch, und dabei blieb es auch nach der Überprüfung dieser Entscheidung durch den Video-Assistenten Benjamin Brand. Auch diese Entscheidung war vertretbar, weil sich nicht eindeutig und zweifelsfrei sagen ließ, ob Sommer wirklich von Moukoko beeinträchtigt wurde oder ob seine zögerliche Reaktion daraus resultierte, dass er den Ball spät gesehen respektive sich einfach verschätzt hatte. Die Bewertung dieser Szene war subjektiv, also eine Sache des Ermessens. Klar und offensichtlich falsch war Fritz‘ Entscheidung, den Treffer anzuerkennen, jedenfalls nicht, deshalb bestand auch für den VAR kein Anlass einzugreifen.
Ein Elfmeter für Gladbach wäre angebracht gewesen
Etwas anders lagen die Dinge im rheinischen Duell zwischen dem 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach (0:0) nach einer Viertelstunde. Da verfehlte der Kölner Timo Hübers den Ball an der eigenen Torraumlinie nach einer Hereingabe von Jonas Hofmann, stattdessen traf er mit seinem rechten Fuß den linken von Florian Neuhaus, der daraufhin zu Boden ging. Referee Felix Zwayer ließ gleichwohl weiterspielen, „der Kontakt hat dem Schiedsrichter nicht für einen Pfiff gereicht – so hat er es mir gesagt“, erklärte Neuhaus nach dem Schlusspfiff. VAR Sören Storks überprüfte die Entscheidung, doch zu einem On-Field-Review kam es nicht.
„Der Kontakt hat nicht für einen Pfiff gereicht“ bedeutet letztlich: Er war aus Sicht des Unparteiischen nicht ursächlich dafür, dass der betreffende Spieler stürzte, den Ball verlor oder nicht weiterlaufen konnte. Mit Blick auf den Zweikampf zwischen Hübers und Neuhaus lässt sich jedoch festhalten: Wenn nicht alles täuscht, dann war der keineswegs nur geringfügige Fußtreffer sehr wohl ausschlaggebend dafür, dass der Gladbacher fiel und den Ball dadurch nicht mit dem rechten Fuß annehmen konnte. Seinen linken Fuß hatte er auch nicht unnatürlich weit herausgestellt, um einen Kontakt zu „ziehen“, wie es in der Fußballersprache heißt. Ein Strafstoß wäre deshalb die angemessene Entscheidung und ein VAR-Eingriff angebracht gewesen.
In Frankfurt hält sich der VAR zu Recht zurück
Auch beim Auftaktspiel am Freitagabend zwischen Eintracht Frankfurt und dem VfL Bochum (1:1) amtierte Storks als VAR, und auch in diesem Fall musste er eine Entscheidung nach einer kniffligen Strafraumsituation überprüfen. Der Bochumer Dominique Heintz hatte den Ball in der 83. Minute nach einer Hereingabe von Randal Kolo Muani mit dem linken Arm aufgehalten, Schiedsrichter Harm Osmers hatte jedoch weiterspielen lassen. Und das aus gutem Grund, denn Heintz hatte den Arm beim Tackling benutzt, um sich auf dem Boden abzustützen und so das Gleichgewicht zu halten. Nach der gültigen Regelauslegung ist das eine normale Bewegung mit dem Arm und keine unnatürliche Vergrößerung der Körperfläche. Deshalb griff Storks zu Recht nicht ein.
Bereits in der 21. Minute hatte er nicht interveniert, als der Bochumer Ivan Ordets im eigenen Strafraum Randal Kolo Muani zu Fall brachte, Referee Osmers auf Strafstoß entschied und Ordets die Gelbe Karte zeigte. Der Elfmeterpfiff war unzweifelhaft korrekt, allerdings stellte sich die Frage, ob der Bochumer für seine Verhinderung einer offensichtlichen Torchance des Feldes hätten verwiesen werden müssen. Osmers hatte dessen Einsatz als ballorientiert bewertet und ihn deshalb nur mit einer Verwarnung geahndet. Aber hatte sich Ordets wirklich bemüht, den Ball zu erreichen?
Mit einigem Wohlwollen könnte man sagen: vielleicht. Aber Ordets‘ Körpereinsatz wirkte eher so, als hätte er vor allem das Ziel gehabt, Kolo Muani mit allen Mitteln, auch unfairen, am Torschuss zu hindern. Die Schiedsrichter sind allerdings überaus oft sehr generös, wenn es um die Frage geht, ob ein Verteidiger die „Notbremse“ im Kampf um den Ball gezogen hat oder nicht: Ein Foulspiel mit dem Bein oder Fuß wird meist als ballorientiert bewertet, eines mit den Armen – also ein Stoßen, Halten oder Ziehen des Gegners – dagegen nicht. Die aktuelle Regelauslegung haben sie dabei auf ihrer Seite. Elfmeter und Gelb – das ist schon Strafe genug, wenn man auch nur ansatzweise argumentieren kann, dass es einen Zweikampf um den Ball gab. Harm Osmers und sein VAR Sören Storks sind dieser Auslegung gefolgt. Und das war vertretbar.
ℹAlex Feuerherdt lebt in Köln und ist dort seit vielen Jahren verantwortlich für die Aus- und Fortbildung der Unparteiischen. Außerdem wird der 52-Jährige als Schiedsrichter-Beobachter in Spielklassen des DFB eingesetzt und arbeitet für den Verband auch als Schiedsrichter-Coach. [Quelle: ntv.de]